Frostbite
an!«, schrie sie und presste sich
gegen das Fenster, bis ihr Atem das Glas beschlug. Er stieg auf die Bremse,
vielleicht in dem Glauben, sie habe ein Hindernis auf der Straße entdeckt. Sie
waren noch nicht ganz zum Stehen gekommen, als der Wolf auf den Highway sprang
und mit dem Wagen kollidierte.
Ein dumpfer Aufprall, Blech verbog sich beim Zusammenstoß. Chey
rutschte in die Ecke des Sitzes und schrie auf, als der Wagen wippte.
»Süße, ruhig!«, sagte ihr Vater.
»Ruhig!« Seine große haarige Hand stieß gegen ihr Kinn, als er sie beruhigen
wollte. Vielleicht hatte er sie auch an der Schulter fassen wollen, aber seine
Augen waren auf das Tier vor ihnen gerichtet.
Die Sonne war untergegangen, aber
noch immer lag ein roter Schimmer am Horizont. Der Mond war bereits
aufgegangen, eine schmale Sichel. In der Ferne verwandelten sich die Berge langsam in Silhouetten, in denen die
Nacht bereits Einzug gehalten hatte. Der Wolf saß mit abgewandtem Kopf vor dem
Wagen und bewegte sich nicht.
Chey atmete schwer. Sie hatte große Angst.
»Schon gut«, sagte ihr Vater. »Es war bloß ein kleiner Unfall. Er
sah uns nicht kommen.«
Der Wolf erhob sich langsam und trottete mit großen Schritten zur
Seite. Dann schüttelte er heftig den Kopf, als versuche er Wasser aus den Ohren
zu bekommen. Er wandte ihnen die Schnauze zu, und seine eiskalten grünen Augen
starrten sie bösartig an, da bestand kein Zweifel.
»Schrei bloß nicht, okay?«, sagte Cheys Vater. »Sei einfach still,
und ich bin sicher, er lässt uns in Ruhe. Er ist verletzt. Er ist bestimmt
verängstigt, aber …«
Der Wolf legte den Kopf in den
Nacken und stieß ein lautes Heulen aus, das viel mehr nach Berglöwe klang
als nach Hund. Tränen schossen Chey in die Augen, und sie zog die Knie ans
Kinn.
»Ich werde …« Ihr Vater unterbrach sich, als sie plötzlich
wimmerte, nur damit er nicht ausstieg, damit er bei ihr blieb. Es waren
urtümliche Laute, die da aus ihr
hervorbrachen, keine verständlichen Worte. Sie hätte sie nicht
unterdrücken können, selbst wenn sie es versucht hätte.
»Schon okay. Ich bleibe hier. Ich schalte einfach wieder auf Drive
und …«
Der Wolf sprang auf die Motorhaube und rammte die breite Schnauze
gegen die Windschutzscheibe. Da schrien sie beide auf. Ein Knirschen durchfuhr
die Scheibe, während sich der Wolf krümmte und die Nase verzog. Er hob die
gewaltigen Pfoten und trommelte damit gegen das Glas. Die ganze Frontscheibe
erbebte. Ein Spinnennetz aus Rissen breitete sich rings um die Aufprallstelle
aus. Wieder kam der Kopf näher, und der Wolf heulte Vater und Tochter an. Sein
Atem gefror auf der Scheibe. Ein letztes Mal warf er sich gegen die Barriere,
und das Glas löste sich in einer lärmenden Kaskade in seinem Rahmen auf.
Die riesigen Wolfszähne stießen ins
Wageninnere vor. Die Zähne waren weiß, die Lefzen des Tiers schwarz und
gefletscht. Diese weißen, weißen Zähne färbten sich rot, als sie sich in den
Hals von Cheys Vater gruben. Sie hörte, dass er etwas sagen wollte. Er stieß
einen gurgelnden Laut aus, als er ihr etwas mitzuteilen versuchte. Der Wolf
bewegte sich ruckartig zurück, und der Körper des Vaters stemmte sich gegen den
Sicherheitsgurt. Überall lag Sicherheitsglas, am Boden, auf dem Armaturenbrett,
in den Haaren. Wieder zerrte der Wolf, und die Gurgel des Vaters löste sich
stückchenweise aus dem Hals. Seine Augen sahen sie noch immer an.
Er war völlig ruhig, dieser Blick. Völlig beherrscht. Versuchte sie
noch immer davon zu überzeugen, dass alles okay war. Seine Augen logen sie an.
Die grünen Augen des Wolfs zeigten nichts als die Wahrheit.
Chey schrie. Sie schrie ununterbrochen, aber der Wolf schien sie
nicht zu hören.
Ihr Vater wollte immer noch sprechen. Seine Lippen bewegten sich,
und er streckte die Hand nach ihr aus, aber er schien sie nicht mehr heben zu
können. Mit einem leisen, dumpfen Aufprall landete sie schlaff zwischen den Sitzen.
Blut quoll aus dem Hals und strömte über das Hemd. Unvermittelt schob sich der
Wolf wieder nach vorn und schlug die Zähne in Schulter und Oberkörper. Er
zerrte und zerrte. Der Vater rutschte mit zappelnden Armen und Beinen aus
seinem Sicherheitsgurt, und der Wolf zog ihn hinaus auf die Straße.
Dann – saß sie allein im Auto. Ihr Vater war einfach … weg,
zusammen mit dem Wolf.
Die Stille wäre vollkommen gewesen, hätte da nicht die CD
gespielt. Chey beugte sich vor und schaltete sie ab.
Kühle Luft strich durch das Loch
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