Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wellington
Vom Netzwerk:
sie bei ihrer nächsten Begegnung
umbrachte – sie konnte nicht bleiben. Wollte sie überleben, dann musste
sie hier weg, das war ihr klar. Trotzdem konnte sie kaum in die Zivilisation
zurückwandern. Und selbst wenn sie es tat, gefährdete sie bloß andere Menschen.
Was sollte sie tun? Sich ins nächste Krankenhaus begeben und darum bitten,
wegen Lykanthropie behandelt zu werden? Es gab keine Heilung. Powell hatte sich
sehr klar ausgedrückt – hundert Jahre lang hatte er sich darum bemüht.
    Sie kaute sämtliche Fingernägel ab
und durchdachte ihre Situation. Dann sprang sie auf, klappte mit Schwung die
Kiste auf und nahm eins der Bücher heraus. Es hieß Black
Sun, und der Verfasser war ein
gewisser Edward Abbey. Sie hatte noch nie von ihm gehört, aber das war
ihr gleichgültig. Sie riss den Umschlag ab, dann zog sie die Seiten eine nach
der anderen auseinander. Sorgfältig breitete sie sie auf dem Boden aus, von
links nach rechts, dann quer, als ihr der Platz ausging. Das Papier fühlte sich
schleimig an, aber es zerbröckelte, wenn sie es zu sehr zerknitterte. Sie gab
sich große Mühe, möglichst viel von dem Buch zu erhalten. Bestimmt konnte sie
die Seiten trocknen und dann nacheinander im Licht des aufgestellten
Schlagladens lesen.
    Sie hatte noch keine fünfzig Seiten zum Trocknen ausgebreitet, als
das Silberlicht kam und sie forttrug.

36   Nackt
und steif erwachte sie auf dem Boden des Feuerturms. Hier drinnen war es fast
so dunkel wie in einem Kohlenkeller, aber sie erkannte die Maserung der Bodendielen
unter ihrer Wange und ihrem Bauch.
    Irgendwie war es beruhigend, sich am selben Ort wiederzufinden wie
zuvor. Trotzdem überraschte es sie, noch hier zu sein – sicherlich hatte
ihre Wölfin in den Wald gewollt, um zwischen den Bäumen zu jagen und zu laufen.
Dann fiel ihr Blick auf die Falltür, die zur Treppe führte. Sie öffnete sich
mühelos – tatsächlich war sie mit einer Feder versehen, sodass man nur mit
einem Finger an dem Ring ziehen musste, um sie zu öffnen. Natürlich war einer
Wolfspfote unmöglich, was einem Menschenfinger ganz leichtfiel.
    Chey stand auf und öffnete einen Schlagladen, um etwas Morgenlicht
einzulassen. Dann wandte sie sich um und zuckte überrascht zusammen.
    Die Wölfin war während ihrer Abwesenheit fleißig gewesen.
    Als sie erkannt hatte, dass sie
nicht durch die Falltür entkommen konnte, war sie offenbar rasend geworden.
Die Wände des kleinen Raums waren übersät mit tiefen Krallenmalen, meterlangen
Kratzern, die an manchen Stellen tief genug waren, um einen Finger
hineinzulegen. Sie hatten die Graffiti der menschlichen Turmbenutzer
ausgemerzt. Tisch und Stühle waren zu Trümmern zerbrochen, während die Truhe
gegen eine Wand geschmettert worden war und der ganze Inhalt zerfetzt im Raum
verteilt lag. Von dem Buch von Edward Abbey waren nur noch winzige Papierfetzen
übrig, die den Boden wie große modrige
Schneeflocken bedeckten.
    Natürlich begriff Chey. Das waren
Menschendinge gewesen. Vielleicht hatten sie für das Tier sogar noch nach den
vorherigen Besitzern gerochen. Gefangen und allein, hatte sich die Wölfin der
Beschäftigung gewidmet, von der sie wirklich etwas verstand. Zerstörung.
    In dem kleinen Raum hing ein starker Wolfsgeruch. In gewisser Weise
ähnelte er nassem Hund, war nur etwas durchdringender. Chey stieß sämtliche
Schlagläden auf und ließ den eiskalten Wind herein, damit er die Ausdünstungen
vertrieb. Dann setzte sie sich auf den Boden – die zerstörten Stühle waren
nicht mehr zu gebrauchen – und stützte den Kopf in die Hände.
    Zuerst hörte sie nicht einmal den Hubschrauber, so sehr war sie in
ihre Depression versunken. Es war auch kein
sehr lautes Geräusch, das besondere Aufmerksamkeit erregte. Bloß ein
rhythmisches Knattern, das der Wind verbreitete. Als es näher kam, blickte sie
auf, ohne zu wissen, was sie da eigentlich hörte. Dann veränderte sich das
Licht, das durch die Schlagläden kam, und sie sprang auf.
    Vielleicht fünfhundert Meter über den Baumwipfeln schoss Bobbys
Hubschrauber in einem langen Bogen vorbei. Er lehnte sich zur Seite, um einen
besseren Blick auf den Feuerturm zu gewähren. Chey winkte mit beiden Armen und
rief, dann fiel ihr ein, den Schlagladen als Signal schnell zu öffnen und zu
schließen. Der Hubschrauber setzte ein Stück zurück und verharrte mitten in der
Luft, kam schließlich langsam näher. Sie verdoppelte ihre Bemühungen, bis der
Pilot mit seiner Maschine wackelte, um

Weitere Kostenlose Bücher