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Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wellington
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sanft auf dem beinahe ebenen
Boden aufsetzten. Als der Motor erstarb, packte sie Bobbys Schulter. »Das ist
ein lausiger Einfall!«, rief sie. »Vermutlich lauert er in der Nähe und wartet
nur darauf, dass ihr an seine Sachen geht.«
    »Gut. Dann kann ich ihn ja erschießen«, erwiderte Bobby. Er hob
mehrmals ruckartig die Schultern.
    Sie stiegen aus dem Hubschrauber
und gingen auf das Haus zu. Chey wandte ständig den Kopf, um
irgendwelche Geräusche zu erhaschen.
    »Entspann dich!«, sagte Bobby schließlich. »Ich habe den Bau bereits
einmal durchsucht, und er kam nicht aus dem Wald gestürmt, um mich zu
erledigen.« Er deutete mit dem Finger, und sie sah, dass die Tür der Hütte
offen stand. Sie konnte nur die Schatten dahinter erkennen, aber sie begriff,
was er ihr sagen wollte. Powell war weitergezogen – so wie er es immer
getan hatte. Hatte er sich nach Norden abgesetzt? Viel weiter kam er da aber
nicht.
    »Glaubst du, er ist wirklich weg?«, fragte sie.
    »Nein«, antwortete er. »Ich glaube nicht, dass er geht, bevor er
sich um dich und mich gekümmert hat. Das täte ich jedenfalls. Aber was zum Teufel weiß ich denn schon? Auf der Mcgill habe ich
die Einführung in die Werwolfpsychologie geschwänzt.«
    »Vielleicht …« Chey hasste den Klang ihrer Stimme, als sie
die Worte aussprach. »Vielleicht sollten wir gehen. Zurück nach Süden, meine
ich.«
    Da wandte er sich um und musterte sie. Ihr wurde bewusst, dass er
seit ihrem neuerlichen Zusammentreffen noch keinen Blickkontakt mit ihr
aufgenommen hatte. Nun sah er ihr unverwandt
in die Augen, und sein Mund verzog sich zu einem kalten kleinen Lächeln.
»Chey, dieser Kerl ist ein Killer.«
    »Ich weiß«, erwiderte sie, »aber …«
    »Komm mit!«, sagte er. »Vielleicht
brauchst du ja eine kleine Erinnerung, womit wir es hier zu tun haben.« Er
führte sie um das Haus herum zu den beiden kleinen Nebengebäuden. Sie erinnerte
sich, wie aus einem davon Qualm durch die Dachspalten gedrungen war. Sie hatte angenommen,
er räuchere Fleisch. »In jenem Schuppen gibt es einen großen Dieseltank«, sagte
Bobby und wies auf den anderen Verschlag. »Ein paar Werkzeuge, etwas Feuerholz.
Keine großen Überraschungen. Aber als wir einen Blick da hineinwarfen« –
er deutete auf die Räucherkammer –, »nun, dort erwarten den Besucher die
ganzen schlimmen Überraschungen.«
    Sie vermutete, dass er nun zum Schuppen gehen und schwungvoll die
Tür aufreißen würde, aber das tat er nicht. Also trat sie vor und zog sie
selbst auf. Es war ihr nicht auf Anhieb klar, was er denn so Aufregendes
gefunden haben sollte. Ihr war der Gedanke gekommen, dass es sich statt um eine
Räucherkammer um eine Schwitzhütte handeln mochte. Was sie dort vorfand, musste
zumindest etwas Ähnliches sein. In der Mitte des kleinen Raums gab es eine
kleine Feuergrube, daneben lagen verschiedene Utensilien herum – ein
Kräuterbündel, eine Adlerfeder, eine Kupferschale –, die wie magische
Werkzeuge eines uralten Paelo-Indianer-Schamanen aussahen. Von einem Gestell an
der Decke hingen lange Streifen gegerbtes Leder wie Gürtel ohne Schnallen.
Dutzende davon. Dazwischen entdeckte Chey ähnliche Fellstreifen. Wolfspelze in
den verschiedensten Farben.
    Powell hatte Wolfsgürtel hergestellt. Sie erinnerte sich daran, wie er ihr von den Lykanthropen in
Deutschland erzählt hatte, die sich angeblich von Wölfen in Menschen
verwandeln konnten, indem sie magische Gürtel anlegten. Er hatte behauptet, die
alte Legende vergeblich erforscht zu haben. Ihr war aber nicht klar gewesen,
dass er versucht hatte, seine eigenen Wolfsgürtel anzufertigen. Doch jetzt, da
sie den Beweis sah, ergab alles einen Sinn.
    »Ja«, sagte sie. »Er hat mir
erzählt, dass er schon seit Jahrzehnten nach einer Heilung sucht.« Sie
unterschlug die Tatsache, dass er darin in jeder Hinsicht gescheitert war. »Was
soll’s? Also arbeitet er mit Leder.«
    Bobby stand neben dem Schuppen,
ohne hineinzusehen. »Das ist keine Kuhhaut, was er da hat«, sagte er. »Das ist
Menschenhaut. Es würde mich nicht überraschen, wenn etwas davon von deinem Dad
stammt.«

38   Bobby
gab ihr ihre alten Klamotten zurück – er hatte sie in dem Lager an dem
kleinen See aufgesammelt. Sie hatte fast schon vergessen, wie kalt ihr war, bis
sie den Parka anzog und Wärme verspürte, echte, menschliche, liebkosende Wärme.
Das fühlte sich schon ganz anders an, obwohl nicht einmal die ungewohnte Wärme
jene Leere in ihr vertreiben konnte,

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