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Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wellington
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konnte sie sich noch
erinnern. Aber jetzt war sie verschwunden. Hatte Bobby sie befreit, während sie
schlief?
    Warum aber befand sie sich dann nicht auf der Lichtung an dem
kleinen See? Sie sah sich um, wobei sie fast vergaß, dass sie nackt war, und
rief Bobbys Namen. Von dem Hubschrauber war keine Spur zu sehen. In ihrer
Wolfsgestalt musste sie ein beträchtliches Stück gelaufen sein.
    Mit zitternden Händen strich sie sich Schnee von Armen und Brust und
kam mühsam auf die Beine. Erfrieren würde sie nicht, das wusste sie inzwischen,
aber in der kalten Luft ringsum und bei dem kalten Boden unter den Füßen
protestierte ihr Körper noch immer. Er verlangte nach Kleidung und einem
Unterschlupf.
    Sie tat einen Schritt und erlebte
den nächsten Schock. Einen wirklich schlimmen Schock. Die Schneewehe war
über und über mit rotem Blut getränkt. Mit Litern von Blut, wie es aussah.
    Sie schlug die Hände vor den Mund. Eine unsichtbare Faust schien ihr
die Brust zusammenzuquetschen. Was … woher kam das viele Blut?
    O
Gott, dachte sie. O nein.
    Irgendwie hatte sie sich von der Kette befreit. In unmittelbarer
Nähe der beiden Männer hatte sie sich befreit. Ihre Wölfin war stärker als
jeder Mensch, schneller. Bobby hatte Silberkugeln, aber vielleicht hatte sie
angegriffen, bevor er die Waffe ziehen konnte.
    Mörderin, dachte sie. Mörderin, Mörderin, Mörderin , stammelte ihr Verstand. Aber nein, dachte sie dann, nein, ich muss mich
beruhigen. Sie wusste nicht genau, was 
geschehen war. Sie hatte nur undeutliche Erinnerungen daran, knurrend
durch den Wald gestreunt zu sein. Da war noch immer dieser Blutgeschmack im
Mund – der offensichtliche Schluss, das offensichtliche Szenario bestand
darin, dass sie die beiden Männer getötet und sie vielleicht … sie vielleicht
gefressen hatte …
    Sie fiel auf die Knie und kotzte in den Schnee. Rote Blutstropfen
bespritzten die weiße Fläche, aber nach einem Moment würgte sie bloß noch, ohne
dass etwas kam.
    Wenn sie Bobby und Lester getötet hatte, dann war sie zu ihrem Dämon
geworden, dann unterschied sie nichts mehr von dem Ungeheuer, das ihr Leben
verschlungen hatte. Dann war sie genau wie die Kreatur, die sie jahrelang zu
zerstören versucht hatte, jene Kreatur, die am Ende sie zerstört hatte. Dann
war sie nicht besser als Powell.
    Bei vielen Gelegenheiten ihres Lebens war Chey von Erinnerungen und
Fragen heimgesucht worden. Wenn sie mit etwas umgehen konnte, dann mit
Entsetzen. Nicht, wie man es wieder in Ordnung brachte, wie man es ausmerzte,
sondern wie man es ertrug. Sie wusste, was zu tun war. Sie musste sich auf ihre
unmittelbare Situation konzentrieren. Sie musste an einen sicheren Ort.
    Sie ging los. Das half – das schwierige Gelände erforderte eine
gewisse Konzentration. Sich einen Weg durch das dichte Unterholz zu suchen,
nahm dem Teil ihres Verstands die Energie, der sich einfach nur hinsetzen und
schreien wollte. Trotzdem. Sie hatte keinen Kompass,
keine Karte. Sie war sich nicht sicher, wo sie sich eigentlich befand,
wusste auch nicht, wohin sie sich wenden wollte. Zu Powells Hütte konnte sie
nicht zurück, oder? Der Wolf wusste mittlerweile, wer sie war. Er wäre auf der Hut und würde sie vermutlich sofort
angreifen, wenn er sie entdeckte. Oder töten.
    Sie konnte zu dem kleinen See zurück, immer natürlich unter der
Voraussetzung, dass sie ihn wiederfand. Aber was würde sie dort entdecken?
Zerbrochene Knochen, denen man das Mark ausgesaugt hatte? Bobbys verspiegelte
Sonnenbrille, deren Gläser auf den Steinen zerschmettert worden waren?
    An erster Stelle stand die
Zuflucht. Sie brauchte einen Platz, an dem es warm war. Sie brauchte
Kleidung, auch wenn die ihr nur dazu verhelfen sollte, sich wieder wie ein
Mensch zu fühlen. Aber solcherlei war rar im betrunkenen Wald, das wusste sie,
aber sie musste etwas finden.
    Und sie fand es tatsächlich. Es war reiner Zufall. Getrieben von der
Absicht, höheres Gelände zu erreichen, wo sie möglicherweise einen besseren
Ausblick hatte. Nachdem sie einen gewundenen Kamm hinaufgestiegen war,
stolperte sie auf einen geräumten Pfad, eine der verschlungenen
Holzfällerstraßen, die Dzo benutzte. Der Weg war überwuchert und voll winziger
Schösslinge. Er war offensichtlich seit Jahren nicht mehr befahren worden. Aber
einst hatte ihn Menschen geräumt, und das war immerhin etwas. Chey ging nach
Süden, auf die Sonne zu, und blieb auf dem Pfad, welche Biegungen er auch immer
beschrieb. Gelegentlich

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