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Frostengel

Frostengel

Titel: Frostengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamina Berger
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Ich überlege schon die ganze Zeit, was genau passiert ist – und warum sie auf dieser Brücke war.«
    Meine Mutter tippte mit dem Zeigefinger auf ihre Lippen, wie immer, wenn sie nachdachte. »Keine Ahnung. Was hätte sie getan, wenn sie den letzten Bus verpasst hätte? Wäre sie per Anhalter gefahren?«
    »Niemals. Außerdem hätte sie bloß Frau Mechat anrufen müssen. Die hätte sie jederzeit abgeholt. Das hat sie doch seit«, ich stockte, »seit Julia diese Tote gefunden hat, immer getan.«
    Meine Mutter drückte mich ein wenig fester an sich und legte ihr Kinn auf mein Haar. »Versprich mir, dass du auf dich aufpasst«, sagte sie.
    Das tat ich doch sowieso immer. Schon lange.
    Ich legte das Bild aus meiner Hand beiseite und betrachtete das nächste Foto. Es zeigte den tief verschneiten Garten, in dem »unser« Baumhaus stand. Das Grundstück gehörte Julias Tante, aber die hatte es nie für irgendetwas genutzt. Für uns war es ein wunderbares Paradies gewesen, wo wir als Kinder auf Bäume geklettert sind und nach Herzenslust in der Erde herumgebuddelt haben. Das letzte Mal waren wir vor fast zwei Jahren dort gewesen. Wir hatten zu Julias 16. Geburtstag eine riesige Fete geplant und die halbe Schule dazu eingeladen. Eine Woche vorher brachten wir alles auf Vordermann. Herr Mechat mähte das hüfthohe Gras mit der Sense. Julia und ich dekorierten die Bäume mit Lampions und organisierten eine Musikanlage. Für Essen und Trinken war gesorgt, meine Mutter hatte Aufstriche und eine Bowle gemacht. Schließlich erschienen annähernd fünfzig Leute, bei Weitem nicht so viele, wie wir eingeladen hatten, aber immer noch genug, um ordentlich zu feiern. Manche der Gäste kannten wir nicht einmal.
    Jemand hatte Alkohol mitgebracht und die Bowle damit verfeinert, obwohl Julias Eltern absolutes Alkoholverbot erteilt hatten. Bis zehn lief alles gut, doch dann passierten gleich mehrere Sachen gleichzeitig. Wer die Pillen mitgenommen hatte, wusste hinterher keiner mehr. Jeder erzählte was anderes und keiner wollte etwas gewusst oder bemerkt haben. Tatsache war, dass nicht nur Alkohol, sondern auch Ecstasy durch die Runde ging. Julia und ich waren zu sehr mit unserer Gastgeberrolle beschäftigt, als dass es uns aufgefallen wäre. Erst als Nadine zusammenbrach, jemand schrie und ein anderer die Musik abdrehte, sahen wir, was los war.
    Ein paar Sekunden war es unheimlich still, dann reagierte Julia als Erste. Sie kniete sich neben die bewusstlose Nadine und überprüfte den Puls. Gleichzeitig rief sie mir zu, ich solle einen Krankenwagen rufen und ihren Vater verständigen. Es war unglaublich, wie schnell die meisten Gäste verschwanden. Dabei warf einer von ihnen eine brennende Zigarette auf eine Papiergirlande, die dann auch noch Feuer fing. Ich trampelte wie verrückt auf der brennenden Girlande herum, um die Flammen zu ersticken. Eine schöne Party, dachte ich verbittert. Sie hätte perfekt werden sollen und nun war alles schiefgelaufen. Julias Vater kam. Obwohl es ziemlich finster war, konnte ich seinen Gesichtsausdruck erkennen. Er hatte die Lippen zusammengepresst. »Wo ist sie?«, fragte er.
    Ich deutete mit dem Finger über meine Schulter, weil ich immer noch damit beschäftigt war, die Glut auszutreten. »Dahinten. Julia ist bei ihr.«
    Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass das Feuer tatsächlich aus war, ging ich ebenfalls zu den anderen hinüber.
    Es waren noch etwa fünf Gäste geblieben, die einen Halbkreis um Nadine bildeten. Ich stellte mich neben Julia. Sie nahm meine Hand. Während wir dabei zusahen, wie Herr Mechat sich um Nadine kümmerte, fragte ich mich, wie alles bloß so hatte eskalieren können.
    Julias Vater hielt uns eine Standpauke. Aber er beruhigte sich wieder, als wir ihm versicherten, dass wir keine Ahnung von den Drogen gehabt hatten.
    Den ganzen nächsten Tag verbrachten wir damit, aufzuräumen. Zu zweit. Keiner von unseren Freunden war gekommen, um mitzuhelfen. Nadine überlebte nur knapp.
    Danach trafen wir uns meist im Grätzel, bei Julia zu Hause oder ganz selten bei mir. Wir mieden den Garten, zumindest ich.
    Ich schaute auf das Foto in meiner Hand. Es passte irgendwie nicht zu den anderen. Auf allen neueren Bildern waren die Orte zu sehen, an denen wir im letzten halben Jahr regelmäßig gewesen waren. Oder es waren Fotos von früher. Diese Aufnahme vom verschneiten Garten mit dem Baumhaus war aber mit Sicherheit erst nach der Party entstanden, denn nicht mal die Schneedecke verbarg die

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