Frostengel
lächeln.
Mit einem tiefen Ernst in der Stimme erklärte sie mir: »Dann verspreche ich dir, dass ich in Zukunft vorsichtiger sein werde.«
Ich verstrubbelte ihr Haar. »Gut. Mehr will ich ja gar nicht.«
Eine Weile saßen wir nebeneinander, ohne ein Wort zu reden. Dann gab ich mir einen Ruck und stand auf. »Ich muss noch dringend wen anrufen«, sagte ich.
»Doch nicht etwa diesen Typen, von dem du mir erzählt hast?«
Es war unglaublich, wie gut Corinna manchmal Bescheid wusste. Fast schon unheimlich. »Gib’s zu. Dein Dauergrinsen hat dich eh schon verraten.«
Jetzt musste ich lachen. »Ja, du hast recht. Es ist genau der. Er heißt Leon.«
»Schöner Name. Fast so schön wie Timo. Seid ihr zwei denn nun zusammen?«
Ich überlegte. Waren wir das? Leon und ich. Ein Paar? Das klang so fremd, so ungewohnt – aber schön. »Ja«, antwortete ich schließlich. »Ich denke, das könnte man so sagen.«
Meine Mutter wartete schon darauf, dass ich aus Corinnas Zimmer kam. »Und?«
Ich zuckte die Achseln. »Sie hat versprochen, in Zukunft vorsichtiger zu sein und keine Dummheiten zu machen.«
Das mit den Dummheiten hatte meine Schwester zwar nicht gesagt, aber hoffentlich so gemeint. »Danke«, flüsterte meine Mutter, bevor ich in meinem Zimmer verschwand.
Ich schmiss mich der Länge nach aufs Bett. Endlich! Endlich konnte ich Leon anrufen. Es war mir nur allzu bewusst, dass er erst vor ein paar Stunden hier neben mir gesessen und mit mir geredet, mich geküsst hatte. Plötzlich vermisste ich Leon so heftig, dass es mir fast den Atem nahm. Ich holte mein Handy aus meiner Hosentasche und wählte seine Nummer. Nach dem ersten Klingelton nahm er ab. Er hatte also auf meinen Anruf gewartet. Vielleicht vermisste er mich genauso sehr wie ich ihn.
»Ich dachte schon, du hättest mich vergessen.«
»Wie könnte ich? Ich denke die ganze Zeit an dich. Es kommt mir so vor, als hätte ich alles nur geträumt.«
»So, so. Du träumst von mir. Das ist ein gutes Zeichen.«
Ich musste lächeln. »Du weißt, wie ich das gemeint habe.«
Seine Stimme wurde ernst, fast feierlich. »Ja, ich weiß.«
»Ich wünschte, du wärst jetzt hier.«
»Ich könnte in zwanzig Minuten bei dir sein.«
»Dann müsstest du rennen. Es ist dunkel, du würdest dir das Bein brechen oder noch schlimmer, den Hals. Und das war’s dann mit unserer vielversprechenden Beziehung. Nein, wir sehen uns morgen um zehn am Friedhof.«
»Wie war denn dein Gespräch mit Tanja?«, wollte er nun wissen.
Ich erzählte ihm alles, was Tanja mir gesagt hatte.
»Hm. Jetzt wird mir so einiges klar. Wenn ich bloß geahnt hätte, warum Melissa mich ihren Eltern nie vorgestellt hat … ich hätte sie nicht so sehr unter Druck setzen dürfen. Vielleicht wäre dann alles anders gekommen.«
»Sie hätte es dir ja auch erzählen können. Heißt das … also, trauerst du Melissa nach?«
»Nein, schon lange nicht mehr.« Und nach einer Pause setzte er hinzu: »Bloß, wenn ich sie nicht gedrängt hätte, ihren Eltern von mir zu erzählen, hätte sie nicht mit mir Schluss gemacht. Ich hätte mich nicht sinnlos betrunken, mein Bruder hätte mich nicht mit dem Motorrad abholen müssen. Vielleicht würde er dann noch leben. Und Melissa auch. Sie wäre dann nicht von irgendeinem windigen Typen schwanger geworden und hätte sich nicht umbringen …«
Ich atmete tief ein. »Leon«, unterbrach ich seinen Redefluss, »hinterher gibt es immer Dinge, die wir besser getan oder unterlassen hätten. Keiner ist schuld an dem, wie es gelaufen ist. Es sind oft nur die kleinen Dinge des Lebens, die eine Kettenreaktion in Gang setzen. Du hast keine Garantie dafür, dass sie nicht trotzdem mit dir Schluss gemacht hätte. Dein Bruder hätte genauso gut bei einem anderen Unfall sterben können. Melissa hätte mit Tanja nach Graz gehen können. Ist sie aber nicht.«
»Du meinst, es hätte keinen Unterschied gemacht?«
»Nein, ich meine, wir wissen es nicht. Und das ist gut so. Du hast keine Schuld daran, dass die Dinge sich so entwickelt haben. Wir sind nur ganz kleine Rädchen im Getriebe des Lebens. Wir sollten unsere Rolle nicht unterbewerten, immerhin halten wir das Ganze am Laufen, aber wir dürfen unseren Einfluss auch nicht überbewerten.«
»Du bist ja fast schon philosophisch. Gefällt mir.«
»Wie gut, dass du mich wegen meines Köpfchens magst.«
»Ausschließlich deshalb. Wobei ich sagen muss, dass es ein äußerst hübsches Köpfchen ist.« Ich musste wieder lächeln.
Als
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