Frostfluch: Mythos Academy 2 (German Edition)
sprachen nicht mehr mit ihr. Dank Daphne hatten die anderen Walküren herausgefunden, dass sich Jasmine und Morgan hinter ihrem Rücken über sie lustig gemacht hatten. Es ist ein bisschen schwer, mit jemandem befreundet zu sein, der ständig nur über einen lästert.
Schließlich hörten die Amazonen auf zu lachen und lernten weiter. Von den anderen Tischen fing ich die unterschiedlichsten Gesprächsfetzen auf, aber ich ignorierte das Geflüster, weil ich immer noch zu sehr damit beschäftigt war, über den Geländewagen nachzudenken, der mich heute Nachmittag fast geplättet hätte. Hatten Jasmines Eltern doch beschlossen, mich zu jagen? Oder hatten die Ashtons einen anderen Schnitter geschickt, um mich zu erledigen? Ich wusste es nicht, und es gab auch keinen Weg, es herauszufinden.
Die ständige Sorge trieb mich in den Wahnsinn.
Gegen sieben kam Daphne in die Bibliothek, zusammen mit ihrem Freund, dem Musikfreak Carson Callahan. Ich winkte ihnen, aber Nickamedes warf mir sofort einen so bösen Blick zu, dass ich den Schalter nicht verließ, um mich mit ihnen zu unterhalten. Dabei wollte ich Daphne wirklich dringend von dem Geländewagen erzählen. Aber die Walküre würde heute Abend nach meiner Schicht sowieso in meinem Zimmer vorbeischauen, also konnte ich auch bis dahin warten. Es war nur nichts, worüber ich ihr eine beiläufige SMS schreiben wollte.
Schließlich, gegen halb neun, leerte sich die Bibliothek langsam für den Abend. Ich packte meine eigenen Bücher zusammen, weil ich hoffte, dass Nickamedes mich früher gehen lassen würde. Aber da er nun mal eine schreckliche Nervensäge war, schob der Bibliothekar stattdessen einen Wagen voller Bücher zu mir herüber.
»Ich muss noch ein paar Mails verschicken, bevor ich die Bibliothek abschließe«, sagte er. »Ich verlasse mich darauf, dass du in der Zwischenzeit diese Bücher zurückstellst, Gwendolyn, und währenddessen keinen Ärger machst.«
»Ehrenwort.« Ich legte theatralisch die Hand aufs Herz. »Kein Problem.«
Der Bibliothekar warf mir noch einen kalten, misstrauischen Blick zu, bevor er in einem der Glasbüros verschwand. Ich streckte seinem Rücken die Zunge raus. Sicher, er war immer noch sauer, weil ich die Bibliothek auseinandergenommen hatte, aber das war Wochen her, und ich hatte ihm beim Aufräumen geholfen. Nickamedes musste wirklich mal darüber hinwegkommen. Es war ja nicht so, als hätte ich mich bewusst entschlossen, seine kostbare Bibliothek zu demolieren – ich hatte nur versucht, Jasmine davon abzuhalten, mich umzubringen. Es war nicht mein Fehler, dass wir dabei Tausende von Büchern umgeworfen hatten.
Ich packte den altersschwachen Bücherkarren und schob ihn zu den Regalen. Wie immer musste ich gegen das lose Rad ankämpfen, das nach rechts zog. Die nächsten zwanzig Minuten verbrachte ich damit, viele dicke Bände an ihre angestammten Plätze zurückzustellen. Trotz meiner Psychometrie fing ich von den Büchern kaum Schwingungen auf, da sie über die Jahre von so vielen Schülern durchgeblättert worden waren. Es waren einfach nur Geschichtsbücher, die man zu Recherchezwecken und für Hausaufgaben nutzte. Niemand hatte echtes Interesse an ihnen. Gewöhnlich empfing ich nicht viel von Dingen, die jeden Tag benutzt wurden, oder von Gegenständen, die einen bestimmten Zweck erfüllten, wie Teller, Tische oder Stühle.
Die richtigen Visionen – das heftige, lebhafte Aufblitzen von Bildern und Gefühlen – empfing ich nur, wenn ich einen Gegenstand berührte, zu dem jemand eine tiefe, persönliche Bindung hatte – wie ein geliebtes Familienerbstück oder ein Foto des kleinen Stiefbruders, den man heimlich verachtet.
Als ich nach Mythos gekommen war, hatte ich es gehasst, in der Bibliothek zu arbeiten, weil, na ja … ich so gut wie alles an der Akademie gehasst hatte. Besonders die Tatsache, dass man mich von meiner alten Schule genommen und von all meinen alten Freunden getrennt hatte, ohne mir dafür eine echte Erklärung zu liefern. Aber inzwischen mochte ich es, durch die Regalreihen zu wandern – hauptsächlich, weil dort so viele coole Artefakte ausgestellt waren.
Man nannte sie nicht umsonst die Bibliothek der Altertümer. Über die verschiedenen Stockwerke verteilt gab es Hunderte Vitrinen, und in jeder einzelnen lag ein Gegenstand, der einst jemand oder etwas Wichtigem in der mythologischen Welt gehört hatte. Wie der Schild, den Achilles während des Trojanischen Krieges getragen hatte. Oder die
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