Frostfluch: Mythos Academy 2 (German Edition)
gesehen.«
Mein Geständnis löste nicht die erwartete Angst aus. Stattdessen wurde Daphne richtig munter. »Wirklich? Cool! Wie hat er ausgesehen? War er wirklich so groß wie ein Nemeischer Pirscher? Hatte er riesige Zähne?«
»Cool?«, fragte ich verwirrt. »Wieso ist das cool?«
Daphne und Carson wechselten einen Blick, als wüssten sie etwas, von dem ich keine Ahnung hatte.
»Erinnerst du dich, wie Metis im Unterricht erzählt hat, dass es teilweise noch wild lebende Fenriswölfe gibt?«, fragte Carson.
»Ja, schon …«
»Nun, die Berge um das Skiresort bilden eines ihrer Reviere. Ein paar von uns haben letztes Jahr Wölfe in der Nähe des Resorts gesehen. Sie haben versucht, näher ranzukommen, aber die Wölfe sind einfach zwischen den Bäumen verschwunden.«
»Und es sind nicht nur Wölfe«, fügte Daphne hinzu. »Hier in der Gegend gibt es tonnenweise wilde Tiere. Manchmal kann man Bären oder Pumas oder Elche sehen, direkt am Rand der Pisten.«
Meine Freunde fingen an, sich über all die Tiere zu unterhalten, die sie letztes Jahr gesehen hatten, und über die Bilder und Filme, die andere Schüler mit dem Handy gemacht hatten.
»Aber …«
Ich öffnete den Mund, um ihnen zu sagen, dass ich keinen wilden Fenriswolf gesehen hatte, dass er nicht mehr Angst vor mir gehabt hatte als ich vor ihm, dass er mich aus roten Augen beobachtet hatte und mich mehr als alles andere hatte töten wollen. Aber im letzten Moment änderte ich meine Meinung. Daphne und Carson wirkten so glücklich, wie sie da aneinandergekuschelt saßen. Ich wollte ihnen nicht den Tag versauen, indem ich ihnen erzählte, wie groß, böse und verschlagen der Wolf gewirkt hatte. Besonders da es sie nicht zu beunruhigen schien, dass ich das Monster gesehen hatte. Ich wollte nicht wie ein totaler Schwächling dastehen – oder noch schlimmer, riskieren, dass meine Freunde mich ansahen, als würden sie mir nicht glauben. Außerdem bestand ja die winzige Chance, dass ich mich geirrt hatte und der Wolf gar nicht hier gewesen war, um mich zu töten. Wild oder nicht, ein Wolf war immer ein Monster. Vielleicht hatten sie ja alle rote Augen. Okay, okay, das glaubte ich nicht wirklich, aber es sorgte trotzdem dafür, dass ich mich ein bisschen besser fühlte.
Jedenfalls waren meine Freunde hierhergekommen, um Spaß zu haben. Wenn sich die Nachricht verbreitete, dass in den Bergen ein Wolf mit roten Augen umherstreifte, würden die Mächtigen von Mythos womöglich den gesamten Winterkarneval absagen. Vielleicht war ich ja selbstsüchtig, aber ich wollte nicht bekannt werden als Gwen Frost, dieses Gypsymädchen, das alles versaut hat. Das würde mich zu einem noch größeren Freak machen, als ich jetzt schon war.
Aber wichtiger war, dass ich sein wollte wie die anderen. Ich wollte ein echter Krieger sein. Wenn der Wolf hier war, um mich zu töten, dann wollte ich mich selbst um das Monster kümmern. Es selbst umbringen. Auch wenn ich keinen blassen Schimmer hatte, wie ich das anstellen sollte.
Also zwang ich mich dazu, meine Freunde anzulächeln, obwohl sich mein gesamtes Gesicht taub und kalt anfühlte. »Lasst uns den Wolf einfach vergessen, okay? Was meint ihr, sollen wir die nächste Piste entern und schauen, ob meine Gypsymagie noch mal funktioniert?«
»Klingt nach einem super Plan.« Carson schob sich seine dunkle Brille wieder auf die Nase und grinste.
»Siehst du? Ich habe dir doch gesagt, dass es funktioniert«, erklärte Daphne selbstgefällig. »Ich habe einfach immer die besten Ideen.«
»Du bist soo toll«, sagte Carson.
Daphne verdrehte die Augen und boxte ihn leicht gegen die Schulter. Carson revanchierte sich, indem er versuchte, der Walküre ihre heiße Schokolade zu stehlen. Sie schlug seine Hand beiseite, und die beiden fingen an, sich lachend zu balgen.
Keiner von ihnen sah, wie das angestrengte, falsche Lächeln aus meinem Gesicht wich, oder bemerkte, dass ich mich nicht mit ins Getümmel warf.
Den Rest des Nachmittags sausten wir die verschiedensten Pisten nach unten, um dann mit dem Lift wieder nach oben zu fahren. Ich hielt ständig Ausschau nach dem Fenriswolf und stellte sicher, dass wir uns so weit wie möglich von den Bäumen fernhielten. Zu meiner Erleichterung konnte ich das Monster nirgendwo zwischen den schneebedeckten Kiefern entdecken.
Je höher wir kamen, desto voller waren die Pisten. Ich entspannte mich ein wenig. Hier konnte der Wolf mich nicht erwischen, nicht zwischen all den Schülern und
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