Frostglut
die Nacht verschlossen wurden. Ich lag gerade auf dem Boden und spielte mit Nyx. Nun nahm ich den Wolfswelpen in die Arme und stand auf. Eine Träne löste sich aus meinem Augenwinkel, weil ich genau wusste, was ich jetzt tun musste.
»Ich denke, du solltest Nyx mit zu dir nach Hause nehmen«, sagte ich traurig. »Ich will nicht, dass das Protektorat sie hier findet und mir wegnimmt.«
»Ja, bitte schick das Fellknäuel weg«, erklärte Vic bissig. »Ich kriege Allergien von all diesen Haaren. Schrecklich, wirklich!«
Das Schwert schniefte, um sein Argument zu belegen, aber auch in seinem Auge sah ich eine Träne glänzen. Auf seine ganz eigene Art liebte Vic Nyx genauso sehr wie ich.
Grandma nickte. »Das ist wahrscheinlich das Beste, Süße. Im Moment ist eine Menge los. Du solltest besser nichts riskieren.«
Ich übergab Nyx an Grandma Frost. Sie schob sich den Welpen unter den Mantel, damit Nyx auf dem Weg zum Auto nicht frieren musste. Dann streichelte ich Nyx ein letztes Mal und flüsterte ihr zu, dass ich sie besuchen würde, sobald ich konnte. Ich umarmte Grandma fest, dann gingen die beiden.
Ohne sie wirkte mein Zimmer so ruhig, so still, so schrecklich leer, besonders ohne Nyx. Sonst sprang sie von einem Ende des Zimmers zum anderen, schnüffelte an allem und erkundete den Raum, als hätte sie nicht ihr gesamtes kurzes Leben hier verbracht. Mir war vorher nie aufgefallen, wie traurig und drückend Stille sein konnte.
Ich wischte mir noch ein paar Tränen aus den Augen und machte mich bettfertig. Ging unter die Dusche, zog meinen Pyjama an, packte die Bücher für den morgigen Unterricht. Nichts davon war wirklich anstrengend, trotzdem fühlte ich mich danach vollkommen erschöpft.
Ich kletterte ins Bett und kuschelte mich unter meine purpur-grau karierte Decke. Normalerweise hätte ich Vic an der Wand hängen lassen, aber heute Nacht legte ich das Schwert in seiner Scheide aufs Bett, direkt neben mich. Ich hatte schon Nyx verloren – ich wollte nicht auch noch Vic verlieren.
»Mach dir keine Sorgen, Gwen«, sagte Vic. »Du wirst rausfinden, wer hinter dem Ganzen steckt. Und sobald du das weißt, werde ich da sein, um dir mit diesem Schnitterabschaum zu helfen. Wir werden sie in blutige Streifen schneiden! Wir werden ihnen die Köpfe abschlagen! Wir werden …«
Er redete ohne Unterlass weiter. Jede Phantasie war blutiger und gewalttätiger als die vorherige. Trotz meiner Situation konnte ich ein Lächeln nicht unterdrücken. So viele Dinge in meinem Leben hatten sich verändert, seit ich auf Mythos ging, aber Vic war eine der Konstanten. Ich konnte mich immer darauf verlassen, dass das Schwert genau das war, was es eben war. Und das tröstete mich heute Abend mehr als je zuvor.
»Gute Nacht, Vic«, sagte ich, als er endlich zu einem Ende kam. »Wir unterhalten uns morgen früh weiter.«
»Gute Nacht, Gwen.«
Das Schwert gähnte, und sein halber Kiefer knackte in der Dunkelheit. Vic schloss sein Auge, und ein paar Minuten später fing er an zu schnarchen.
Ich legte die Hand auf das Heft des Schwertes. Ich ließ es nicht los, nicht einmal, als ich einschlief.
Zu meiner Überraschung fiel ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf, bis mein Wecker mich am Morgen aufschreckte.
Ich machte mich bereit für den Tag, dann spähte ich kurz aus dem Fenster. Ich konnte Inari nirgendwo entdecken. Wahrscheinlich hatte der Ninja die Nachtschicht absolviert, und jetzt übernahm jemand anderes die schreckliche Aufgabe, mich zu bewachen. Nun, ich hatte einiges zu tun, und ich würde nicht warten, bis das Protektorat auftauchte.
Das musste ich auch gar nicht. Als ich die Tür öffnete, wartete Alexei bereits im Flur auf mich. Der russische Krieger lehnte an der Wand, die Arme über der schlanken, muskulösen Brust verschränkt. Vor seinen Füßen stand ein schwarzer Rucksack, aus dem oben die Hefte von zwei Schwertern herausstanden.
»Also wirst du mir den ganzen Tag auf Schritt und Tritt folgen. Jippieh«, grummelte ich, als ich mir den Gurt meiner Tasche über den Kopf schob.
Alexei sagte nichts, aber seine Mundwinkel verzogen sich zu etwas, das fast aussah wie ein Lächeln. Nun, zumindest amüsierte ihn mein Leiden.
Ich schloss die Tür hinter mir ab, drängte mich an Alexei vorbei und ging die Treppen nach unten. Er schloss sich mir an, so dicht hinter mir wie mein eigener Schatten. Wieder einmal gab er nicht das geringste Geräusch von sich. Ich hörte keinen einzigen Laut, nicht einmal, als wir die
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