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Frostglut

Frostglut

Titel: Frostglut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Estep
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quietschende Stufe am Fuß der Treppe erreichten. Sein unheimliches, wachsames Schweigen vermittelte mir das Gefühl, ich würde von einem Geist verfolgt. Der einzige Unterschied bestand darin, dass ich Alexei sehen konnte, wenn ich mich umdrehte.
    Ich erreichte das Ende der Treppe, ging den Flur entlang und blickte aus der Vordertür des Wohnheims. Es war ein eiskalter Morgen, und das mit Raureif bedeckte Gras glitzerte wie Tausende kleine Dolche. Die Sonne war gerade aufgegangen, aber die ersten Strahlen tauchten die kalte Welt bereits in ein blutiges, scharlachrotes Licht. Wie lautete dieses alte Sprichwort? Es sagte irgendwas darüber, dass ein roter Himmel am Morgen eine Warnung bedeutete. Jupp, ich hatte das definitive Gefühl, dass es genau so ein Tag werden würde.
    Ich griff in meine Manteltaschen und zog die dunkelgrauen Handschuhe, den Schal und meine Mütze heraus, die alle mit glitzernden silbernen Schneeflocken verziert waren. Sobald ich mich eingepackt hatte, trat ich in die Kälte, rammte die Hände in die Manteltaschen und ging einen der gepflasterten Wege entlang, der den Hügel hinauf zum oberen Hof führte. Zu dieser frühen Stunde waren Alexei und ich die einzigen Schüler, die schon unterwegs waren.
    Wir wanderten eine Weile schweigend den Weg entlang, bevor ich über die Schulter zu Alexei sah.
    »Also, wie läuft es bei dir?«
    »Läuft was?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Du weißt schon, wo kommst du her, welche Art von Krieger bist du, warum hat das Protektorat jemanden in meinem Alter abgestellt, um mich zu bewachen?«
    Alexei musterte mich, als müsste er erst entscheiden, ob das irgendein Trick war, ihn dazu zu bringen, supergeheime Protektoratsinformationen preiszugeben. Ha. Hätte ich das gewollt, hätte ich ihn nur berühren müssen. Anders als ich trug Alexei keine Handschuhe. Er hatte die Hände nicht mal in die Jackentaschen geschoben, wie es an einem so kalten Morgen normal gewesen wäre. Vielleicht machte ihm Kälte ja nichts aus. Einige der Schüler auf Mythos besaßen Magie, die sie unempfindlich gegen extreme Temperaturen machte.
    Obwohl ich schon vor langer Zeit beschlossen hatte, meine Magie nicht einzusetzen, um den Leuten ihre Geheimnisse zu entreißen – außer, es war absolut notwendig –, konnte ich mich nicht davon abhalten, seine Hände zu betrachten und mich zu fragen, ob ich die Handschuhe ausziehen, ihn berühren und ihn mit meiner psychometrischen Magie blitzen konnte, bevor er merkte, was los war. Aber ohne die Supergeschwindigkeit einer Amazone hatte ich wahrscheinlich keine Chance.
    Trotzdem war die Versuchung unglaublich stark. Ich wollte erfahren, was Alexei – und noch wichtiger, das Protektorat – über mich wusste. Besonders dringend wollte ich erfahren, was sie über meine Berührungsmagie wussten – und ob sie erkannt hatten, dass ich Preston damit umgebracht hatte.
    Ich zitterte, aber das lag nicht an der kalten Luft. Das Gesicht eines jungen Mannes stieg vor meinem inneren Auge auf. Früher war es ein gut aussehendes Gesicht gewesen, doch jetzt war es zu einer schmerzerfüllten Grimasse verzerrt, und die blauen Augen blickten kalt, tot und leer – und zwar meinetwegen. Metis und Grandma Frost hatten mir immer gesagt, dass meine Magie sich noch entwickelte, dass ich irgendwann fähig sein würde, mehr damit anzustellen, als Dinge zu berühren und Erinnerungen zu sehen. Aber ich hatte nie gedacht, dass ich damit jemanden umbringen könnte. Doch genau das hatte ich Preston angetan.
    Das war schon schlimm genug, aber noch schlimmer war, dass ich es wieder tun konnte – mit jedem und jederzeit. Ich fühlte die Magie, die Macht, das Wissen tief in mir. Ein dunkles Flüstern, das im Takt mit meinem Herzen zu mir sprach. Setz mich ein, setz mich ein, setz mich ein …
    »Ich bin aus Sankt Petersburg in Russland«, erklärte Alexei schließlich. Er musste letztendlich entschieden haben, dass meine Fragen harmlos waren. »Allerdings gehe ich auf die Mythos Academy in London, weil mein Dad dort die meiste Zeit mit dem Protektorat verbringt. Ich bin ein Bogatyr, und wir sind nicht gleichaltrig. Ich bin achtzehn, ein Schüler im dritten Jahr.«
    Ich verdrehte die Augen. Zweites Jahr, drittes Jahr, so groß war der Unterschied nun wirklich nicht.
    »Ich bin hier, um dich zu bewachen, weil mein Vater ein führendes Mitglied des Protektorats ist und ich ebenfalls dazu ausgebildet werde, eines Tages diesem Gremium anzugehören. Außerdem, weil ich einige

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