Frostglut
Moment, bis ich verstand, dass es das eingeschweißte Kärtchen war, das die Waffen beschrieb. Ruslans Schwerter. Mehr konnte ich nicht lesen, bevor ich Vic in die Luft riss, den Kopf zur Seite drehte und das Schwert so fest wie möglich nach unten stieß. Das Glas zerbrach mit einem lauten Klirren. Scherben flogen durch die Luft und trafen meine Hände und Arme, aber das war mir egal. Dieser Schmerz war nichts im Vergleich zu dem, was Oliver und Alexei erwartete, wenn ich ihnen nicht half.
Die beiden Schwerter lagen gekreuzt in der Vitrine. Sie steckten in einer Doppelscheide aus grauem Leder, also konnte ich mir die Waffen mit einer Hand schnappen …
Sobald ich die Scheide berührte, wurde mein Geist von Bildern überschwemmt.
Es überraschte mich nicht, dass meine Psychometrie sich einschaltete, aber die Eindringlichkeit der Erinnerungen und Gefühle, die mit der Scheide und den Schwertern verbunden waren, nahm mir den Atem. Augenblicklich war die Bibliothek verschwunden, und ich stand bis auf die Knochen durchgefroren in der Mitte eines heftigen Schneesturms, während um mich herum ein Kampf tobte. Schreie durchschnitten die Luft.
Panisch drehte ich mich hierhin und dorthin und versuchte die Erinnerungen zur Seite zu schieben. Ich hatte jetzt keine Zeit dafür – nicht, während Oliver und Alexei in Lebensgefahr schwebten und ein Schnitter hinter mir herhetzte. Aber je heftiger ich mich wand, desto klarer wurde das Bild. Als würde ich mit einer Kamera heranzoomen. Mein Blick fiel auf einen Mann in der Mitte des Getümmels. Ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass er mit zwei Schwertern kämpfte – wahrscheinlich mit den Schwertern, die ich gerade in der Hand hielt. Aber irgendetwas an ihm wirkte vertraut. Die Art, wie er sich bewegte, als tanzte er mit seinen Gegnern, statt gegen sie zu kämpfen …
»Gwen!«, hörte ich Vic sagen, obwohl die Stimme des Schwertes scheinbar von weit her kam. »Dieser Schnitter ist hinter dir her! Reiß dich zusammen! Jetzt!«
Ich schüttelte den Kopf. Die Bilder und Erinnerungen verschwanden, obwohl meine Zähne immer noch vor Kälte zitterten und ich so durchgefroren war, dass ich halb erwartete, meinen Atem in der Luft Wolken bilden zu sehen. Aber wie war das möglich? Hier in der Bibliothek war es warm …
»Gwen!«, schrie Vic wieder.
Rein instinktiv warf ich mich nach rechts.
KLIRR!
Der Schnitter, den ich gerade erst umrundet hatte, ließ sein Schwert auf die Stelle herabsausen, an der ich gerade noch gestanden hatte. Die Waffe blieb im hölzernen Podest der Vitrine stecken, und er bemühte sich fluchend, sie wieder zu lösen. Warum versuchten eigentlich ständig Leute, mich in der Bibliothek umzubringen? Nickamedes sollte wirklich dringend Warnschilder aufstellen. Gefahr: Hier zu arbeiten könnte Ihre Gesundheit schädigen.
Da ich keine Hand frei hatte, weil ich Vic und die anderen Schwerter hielt, trat ich mit dem Fuß aus und erwischte den Schnitter am Knie. Irgendetwas knirschte unter meinem Turnschuh. Der Schnitter schrie schmerzerfüllt auf, sein Bein gab nach und er fiel um.
»Das ist mein Mädchen!«, jubelte Vic. »Tritt noch mal zu!«
Also trat ich noch mal zu und rammte dem Schnitter meine Sohle so fest ich nur konnte in die Gummimaske. Er stöhnte und rollte sich zur Seite, um sich unter der Vitrine zu verstecken, damit ich ihn nicht noch ein drittes Mal traf. Aber ich wandte mich sowieso ab und rannte auf den Kreis aus Schnittern zu.
Die anderen Angreifer waren so auf Oliver und Alexei konzentriert, dass sie gar nicht bemerkten, wie ich mich wieder in den Kampf warf. Ich rammte die Schulter gegen einen Schnitter, schob ihn aus dem Weg und durchbrach so ihren Ring.
»Oliver! Alexei! Waffen!«, schrie ich und schob Alexei die Scheide in die Hand.
Mit einer geschmeidigen Bewegung zog der Bogatyr eins der Schwerter, bevor er das andere Oliver anbot. Der Spartaner schüttelte den Kopf.
»Nimm du das zweite Schwert. Gib mir stattdessen die Scheide!«, brüllte Oliver.
Alexei streckte ihm das Leder entgegen. Oliver nahm die Doppelscheide, sodass Alexei nun zwei Schwerter hielt. Der Spartaner wog die schwere Scheide kurz in der Hand, dann erschien doch tatsächlich ein Lächeln auf seinem Gesicht. Ich hatte keine Ahnung, was er mit einem Stück Leder anfangen wollte …
Der Spartaner duckte sich unter dem Schlag eines Schnitters hindurch und sprang vorwärts, bis er sich hinter seinem Angreifer befand. Eine Sekunde später hatte Oliver
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