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Frostglut

Frostglut

Titel: Frostglut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Estep
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würde – oder wen er verbrennen würde. Ich zitterte, löste den Blick von den Statuen und ging weiter.
    Alle Schüler waren ermuntert worden, das Konzert zu besuchen … na ja, abgesehen von mir natürlich. Aber es gab ein paar Leute, die beschlossen hatten, nicht hinzugehen, aus welchen Gründen auch immer. Deswegen war die Bibliothek heute geöffnet. Außerdem hatten Mythos-Schüler immer Hausaufgaben zu machen, ob es nun ein Konzert gab oder nicht. Ich entdeckte ein paar Leute an dem Studiertisch vor dem Ausleihtresen, unter anderem Morgan McDougall. Ich winkte der Walküre zu. Sie erwiderte die Geste, bevor sie sich wieder ihrem Buch zuwandte.
    Doch statt mich zu ihr oder an einen anderen Tisch zu setzen, wanderte ich zwischen die Regale.
    »Was tust du?«, fragte Alexei. »Wo gehst du hin? Du hast deine Tasche nicht dabei, also weiß ich, dass du keine Bücher brauchst, um deine Hausaufgaben zu machen.«
    »Ich bin auch nicht wegen meiner Hausaufgaben hier«, erklärte ich. »Eher für Zusatzaufgaben.«
    Bei meinen kryptischen Worten runzelte Alexei die Stirn, aber er blieb an meiner Seite.
    Tiefer und tiefer wanderten wir zwischen die Regale, bis ich schließlich die Stelle erreichte, an der der Schnitter die Vitrine mit Apates Schatulle und Schmuck zerbrochen hatte. Das ganze Glas war aufgekehrt worden, auch wenn die Vitrine noch stand – oder zumindest ihre Reste. Der Schnitter hatte den Deckel aus Holz und Glas zerschlagen, aber der eigentliche Korpus und die Beine waren noch intakt. Ich ging davon aus, dass Nickamedes einfach noch nicht die Zeit gefunden hatte, die Vitrine zu reparieren oder zu ersetzen. Welcher Umstand auch dafür verantwortlich war, ich war froh, dass sie noch hier stand.
    Ich holte tief Luft, schob die Ärmel meines purpurnen Kapuzenpullis nach oben und berührte den Glaskasten mit beiden Händen.
    Erinnerungen und Bilder drängten in meinen Kopf. Ich empfing das Gefühl, dass diese Vitrine schon sehr, sehr lange hier stand, vielleicht sogar Jahrzehnte. Kurze Bilder von allen Schülern, die den Glaskasten berührt, sich dagegen gelehnt, die Gegenstände darin betrachtet oder sogar darauf miteinander geschlafen hatten, blitzten vor meinem inneren Auge auf. Igitt. Ich hätte prima ohne dieses bestimmte Bild leben können.
    Und dann, endlich, sah ich die letzte Erinnerung, die mit der Vitrine verbunden war – der Schnitter, der das Heft seines Schwertes hob, das Glas zerschlug, hineingriff und Schatulle samt Inhalt stahl.
    Ich konzentrierte mich auf dieses letzte Bild und stellte es in meinem Kopf scharf. Dann spulte ich es zurück und ließ die Abfolge der Ereignisse wieder und wieder ablaufen, um möglichst viele Informationen daraus zu ziehen. Ich hoffte, dass es etwas gab, das ich beim ersten Mal nicht bemerkt hatte, irgendeinen Hinweis, den ich übersehen hatte.
    Ich wusste, dass die Schnitter das Kästchen und den Schmuck für Vivian brauchten, damit sie die Maat-Natter glauben lassen konnte, sie spräche die Wahrheit. Doch jetzt wollte ich wissen, wofür sie diese Gegenstände noch einsetzen konnten – und welches Mitglied des Protektorats in Wirklichkeit ein Schnitter war.
    Nichts – ich sah und fühlte nichts.
    Nun, zumindest nichts Ungewöhnliches. Nur das Bild des Schnitters, der die Vitrine zerschlug und sich die Gegenstände darin schnappte. Nichts, was ich nicht bereits wusste, und nichts, was mir dabei helfen würde, Vivians Plan aufzudecken.
    Ich öffnete die Augen und ließ die Finger überall über die Vitrine gleiten, um jeden Zentimeter einmal zu berühren. Doch es blitzte kein weiteres Bild auf. Keine Erinnerungen, keine Schwingungen, gar nichts.
    »Was tust du da?«, fragte Alexei.
    »Ich benutze meine Psychometrie«, erklärte ich. »Aber ich habe nichts Neues erfahren. Zumindest noch nicht.«
    Ich war enttäuscht, aber noch nicht bereit, aufzugeben. Nachdem die Vitrine mir keine Schwingungen vermittelte, erweiterte ich meinen Radius und untersuchte den Rest des Ganges. Ich ging auf Hände und Knie und fuhr mit den Fingern über den Marmorboden im gesamten Bereich. Wieder empfing ich Eindrücke von allen Schülern, die gelangweilt über diese Stelle geschlurft waren, aber nichts, das mit Schnittern zu tun hatte.
    In meiner Verzweiflung legte ich mich auf den Bauch und schaute unter das Bücherregal hinter der Vitrine. Dort lag etwas Langes, Schwarzes. Ich kniff die Augen zusammen, um zu erkennen, was es war, dann verstand ich, dass es sich um den Samtständer

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