Frostherz: Mythos Academy 3 (German Edition)
Notts Grab. Der Spartaner hob einen Arm, als wollte er ihn mir um die Schultern legen, aber dann ließ er ihn wieder sinken. Bis auf Grandma Frost hatte mich niemand berührt, und ich wollte es auch nicht.
Ich wollte nie wieder von irgendwem berührt werden. Nicht nach dem, was ich Preston angetan hatte. Nicht, wenn ich doch jetzt wusste, wozu ich fähig war.
Ich wusste nicht, wie lange wir dort standen, aber die Luft wurde kälter, und dicke Schneeflocken segelten vom winterweißen Himmel. Die Flocken sammelten sich in meinem Haar und vermischten sich mit den Tränen, die über meine Wangen rannen. Doch sie waren nicht so kalt wie mein Herz.
»Ich bin ein Feigling, Gwen«, sagte Logan und brach damit das Schweigen.
Das war das Letzte, was ich von ihm erwartet hatte, also drehte ich mich um und starrte ihn an.
»Du bist kein Feigling«, sagte ich. »Ich habe gesehen, wie du auf der Lichtung gegen die Schnitter gekämpft hast, und Ajax hat mir erzählt, wie du alle in den Kampf am Herrenhaus geführt hast. Er ist deswegen so stolz auf dich. Genauso wie Nickamedes.«
Logan seufzte. »Ich meinte nicht heute. Ich meinte damals, als Kind – an dem Tag, an dem meine Mom und meine ältere Schwester ermordet wurden. Das ist mein großes Geheimnis, Gwen. Das ist es, was du nie herausfinden solltest. Was für ein Feigling ich an diesem Tag war.«
Er zögerte, dann trat er einen Schritt vor. Ich versuchte mich ihm zu entziehen, aber Logan fing sanft mein Gesicht mit den Händen ein. Er blickte mir in die Augen, und sofort stieg die Erinnerung in mir auf.
Logan als kleiner Junge, der sich in einem Schrank versteckte und ein Schwert umklammerte, vollkommen verängstigt von den Schreien, die er vor der Tür hörte. Dann der Spartaner, der über den blutigen Leichen seiner Mutter und seiner älteren Schwester stand. Logan, wie er zwischen ihnen lag, während Tränen und Trauer ihn überwältigten.
Ich hatte dieselben Bilder schon einmal gesehen, als ich Logan geküsst hatte. Aber er ließ seine Hände auf meinem Gesicht liegen, sodass ich tiefer in die Erinnerung vordringen und seine Gefühle spüren konnte. Er zeigte mir sein Geheimnis.
Ich sah alles durch seine Augen. Wie er draußen mit seinem Spielzeugschwert spielte und so tat, als würde er gegen Schnitter kämpfen. Dann sah Logan, wie tatsächlich eine Gruppe Schnitter in schwarzen Roben über die Steinmauer am Waldrand kletterte. Logan rannte nach drinnen und schrie seiner Mom und seiner Schwester eine Warnung zu. Seine Mom schrie zurück, er und seine Schwester sollten sich verstecken. Dann stürmten die Schnitter ins Haus. Seine Mutter und seine Schwester stellten sich ihnen zum Kampf, obwohl sie genau wussten, dass sie nicht gewinnen konnten. Logan wollte seiner Familie helfen, doch stattdessen drehte er sich um und rannte tiefer ins Haus …
Logan hasste sich dafür, dass er an diesem Tag Angst gehabt hatte. Spartaner waren die besten Kämpfer, die zähesten Krieger. Sie sollten eigentlich keine Angst empfinden oder vor einem Kampf fliehen – niemals.
Logans Selbsthass ergoss sich in mich, bis mir schlecht wurde. Schuldgefühle, Abscheu, Angst. Der Spartaner empfand das alles, weil er weggelaufen war und sich in einem Schrank versteckt hatte, statt wie seine Mom und seine Schwester gegen die Schnitter zu kämpfen, wie er es eigentlich gewollt hatte und wofür er trainiert hatte. Ein Teil von ihm war davon überzeugt, dass alles gut geworden wäre, wenn er zumindest versucht hätte, seine Familie zu beschützen, selbst wenn er nur mit ihr gestorben wäre.
»Siehst du?«, flüsterte Logan. »Siehst du endlich, was für ein Feigling ich war? Wie ich meine Familie habe sterben lassen, nur um mich selbst zu retten?«
Ich schüttelte den Kopf und trat zurück. Seine Hände lösten sich von meinem Gesicht, und unsere Verbindung brach ab. »Du bist kein Feigling. Du warst fünf Jahre alt, als es passiert ist. Wenn du versucht hättest, gegen sie zu kämpfen, hätten sie dich nur auch noch umgebracht, Logan. Das musst du doch wissen. Deine Mom wusste es. Deswegen hat sie dir und deiner Schwester zugerufen, dass ihr euch verstecken sollt. Sie wollte, dass du in Sicherheit bist, selbst wenn es bedeutete, sie zurückzulassen. Und zweifellos hat deine Schwester genauso empfunden, wenn man bedenkt, wie sie deiner Mom dabei geholfen hat, dich zu beschützen.«
Der Spartaner schenkte mir ein trauriges Lächeln. »Vielleicht stimmt das sogar, aber so empfinde ich es
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