Frostherz: Mythos Academy 3 (German Edition)
Sie schon über meine Mom?«, blaffte ich, während ich die Hände zu Fäusten ballte. »Sie ist tot, schon vergessen? Von Schnittern ermordet, weil sie versucht hat, dafür zu sorgen, dass der Dolch in Sicherheit ist. Also wagen Sie es nicht, noch ein Wort gegen sie zu sagen!«
Nickamedes beäugte mich mit finsterem Blick. Logans Griff verstärkte sich, bis seine Finger sich durch den Stoff der Kleidung in meine Schulter bohrten. Der Bibliothekar starrte mich noch eine Sekunde an, bevor sein Blick zu seinem Neffen glitt. Dann verzog er wieder das Gesicht.
»Der Dolch ist nicht in der Bibliothek«, beharrte er. »Ich verstehe nicht mal, warum wir überhaupt darüber reden. Ich gehe lieber nachsehen, ob die Eltern der verletzten Schüler bereits angekommen sind.«
Damit stiefelte der Bibliothekar aus dem Raum, packte im Vorbeigehen die Klinke der Bürotür und knallte sie hinter sich zu.
»Warum ist er eigentlich immer so schlecht drauf?«, murmelte ich.
Metis schüttelte den Kopf. »Das ist eine lange Geschichte.«
Die Professorin starrte wieder auf die Karte und betrachtete die verschiedenen Kreuze darauf. Jetzt, da ich wusste, dass es eine Karte der Bibliothek war, erkannte ich einige der Stellen, an denen ein X eingetragen war. Der Ausleihtresen, an dem ich arbeitete, die Stelle, an der einst die Schale der Tränen gestanden hatte, der Kaffeewagen, an dem Snacks an die Schüler verkauft wurden. Seltsam. Hunderte von Leuten liefen täglich an diesen Stellen vorbei. Ich hatte erwartet, dass die Schnitter eher abgelegene Stellen markieren würden, Orte, an denen meine Mom wahrscheinlicher einen Dolch versteckt hätte, um all diese Jahre seine Sicherheit zu garantieren.
Wir alle studierten noch ein paar Minuten lang die Karte, bevor Metis sie zu einem Kopierer in der Ecke trug und mehrere Kopien davon anfertigte, wahrscheinlich, um sie den Mächtigen von Mythos zu geben. Sobald sie damit fertig war, streckte mir die Professorin die Originalkarte entgegen. In ihren Augen stand eine deutliche Frage.
Ich seufzte. Ich fühlte mich nicht danach, meine Gypsygabe einzusetzen. Nicht jetzt, nicht nach allem, was geschehen war. Aber ich hatte keine Wahl. Ich musste den Dolch finden, bevor es den Schnittern gelang. Und meine psychometrische Magie war dabei meine beste Chance.
Also setzte ich mich auf einen Stuhl, schloss die Finger um das Papier der Karte und wartete darauf, dass die damit verbundenen Erinnerungen und Gefühle meinen Geist erfüllten.
Das erste Bild, das in mir aufstieg, war das des Schnittermädchens. Sie trug dieselbe schwarze Robe und auch die Gummimaske, die sie heute angehabt hatte, und sie stand in einem prächtig eingerichteten Wohnzimmer. Möbel aus dunklem Holz, schwere, antike Sofas, große Gemälde an den Wänden, Kristallvasen mit roten und schwarzen Rosen darin. Ich beobachtete, wie sich das Schnittermädchen über die Karte beugte, die auf dem Tisch vor ihr ausgebreitet lag.
»Bist du sicher, dass sich der Dolch in der Bibliothek befindet?«
Sie drehte den Kopf, und ich verstand, dass sie mit einem Mann sprach. Er trug anders als sie weder Robe noch Maske, also konnte ich sein Gesicht sehen. Aber er war keiner der Professoren oder Angestellten der Akademie, daher erkannte ich ihn nicht.
»Ich bin mir sicher«, sagte er. »Alle Ortungszauber, die wir gewirkt haben, bestätigen das. Der Helheim-Dolch liegt irgendwo in der Bibliothek der Altertümer verborgen.«
Das Schnittermädchen sah zu einem Gemälde an der Wand hoch, das einen Schwarzen Rock zeigte. Ich hatte in meinem Mythengeschichtsbuch schon Bilder des gigantischen Vogels gesehen, aber dieses Gemälde zeigte deutlich, wie riesig und wild er war. Der Rock hatte gebogene, schwarze Krallen, mit denen er fähig war, einen Mann vom Boden zu heben – oder in Stücke zu reißen. Sein gesamter Körper glänzte schwarz, obwohl dieses Gemälde den roten Schimmer betonte, der über das Gefieder der Kreatur spielte, und die roten Funken, die in ihren tiefschwarzen Augen brannten.
Das Schnittermädchen sah sich im Rest des Raumes um. Ich bemerkte, dass fast jedes Möbelstück und jeder Einrichtungsgegenstand ein Bild oder eine Gravur des Vogels trug. Die Stühle, die Tische, mehrere Vasen, ein paar Buchstützen, selbst eine Marmorstatue in einer Ecke. Jemand hier war ein wenig besessen.
»Nun denn«, erklärte das Schnittermädchen mit einem Grinsen in der Stimme. »Wenn der Dolch in der Bibliothek ist, sollten wir ihn besser holen
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