Frostherz: Mythos Academy 3 (German Edition)
dass wir gegen eine Gruppe Schnitter gekämpft und mehrere von ihnen getötet hatten. Wahrscheinlich machte uns das in den Augen der anderen zu Helden. Dabei hatten wir eigentlich nur versucht, am Leben zu bleiben. Wir vier hatten Glück gehabt, weil wir im Waffenraum gewesen waren. Hätten wir uns hier im Hauptraum aufgehalten, wären wir genauso verletzt worden wie die anderen – oder Schlimmeres.
Besonders eine Schülerin starrte mich unverwandt an. Sie war ungefähr so groß wie ich, mit einem schlanken, sehnigen Körperbau. Sie hatte kastanienbraunes Haar, das sich wie wild kräuselte, genau wie meines. Aber dazu besaß sie erstaunliche, goldene Augen, als wären zwei perfekte Topase in ihr Gesicht eingelassen. Selbst mit einer geröteten Nase, dem Gesicht voller Flecken und Tränenspuren auf den Wangen war sie noch schön. Sie trug Designerklamotten wie alle Schüler auf Mythos, aber sie zog ständig an ihren Ärmeln, als wäre ihr Hemd zu eng, obwohl es locker von ihren Schultern hing. Sie bemerkte, dass ich sie beobachtete, lief rot an und wandte den Blick ab.
»Wer ist das?«, fragte ich und nickte in Richtung des Mädchens.
Daphne spähte über meine Schulter. »Oh, das ist Vivian Holler. Sie ist auch im zweiten Jahr. Eine Amazone, glaube ich. Sie ist mit Savannah und Talia befreundet.«
»Ich glaube, ich habe sie noch nie zuvor gesehen.«
Daphne zuckte mit den Schultern. »Soweit ich weiß, ist Vivian recht still. Redet nicht viel, liest ständig, bekommt gute Noten, ist nicht allzu gut mit Waffen. Ein bisschen wie du, Gwen.«
»Na danke«, meinte ich trocken.
Daphne verdrehte die Augen und legte den Kopf auf Carsons Schulter. Seit dem Angriff achtete sie darauf, dass sich der Musikfreak nicht mehr als ein paar Schritte von ihr entfernte. Carson drückte Daphne an seine Brust, und ein paar pinkfarbene Magiefunken schossen aus ihren Fingerspitzen und flackerten in der Luft zwischen ihnen. Egal was heute noch geschehen war, zumindest ging es Carson gut. Ich wusste nicht, was Daphne getan hätte, wenn er gestorben wäre. Ich wusste nicht, was ich getan hätte.
Logan packte meinen Arm und zog mich ein Stück von den anderen weg.
»So habe ich mir den Schulanfang eigentlich nicht vorgestellt. Und auch nicht unser Wiedersehen nach den Ferien, Gypsymädchen.« Er schenkte mir ein kleines, trauriges Lächeln. Nein, nichts war heute so gelaufen, wie ich es erhofft hatte.
»Ich auch nicht.« Ich biss mir auf die Lippe. »Glaubst du … glaubst du, das war meine Schuld? Der Angriff?«
Logan runzelte die Stirn. »Wieso sagst du so was?«
Mein Magen verkrampfte sich, aber trotzdem holte ich tief Luft und zwang die Worte über meine Lippen. »Weil ich den Helheim-Dolch noch nicht gefunden habe, wie Nike es von mir wollte. Vielleicht wäre das alles nicht geschehen, wenn ich längst wüsste, wo er ist. Vielleicht wäre heute niemand verletzt worden. Vielleicht wäre Carson dann nicht fast gestorben. Vielleicht … vielleicht wären Samson und die anderen immer noch am Leben.«
Der Spartaner legte mir die Hände auf die Oberarme. Die Hitze seines Körpers bannte einen kleinen Teil der Kälte, die tief in meinen Knochen saß. »Das ist verrückt, und das weißt du auch, Gypsymädchen. Nichts davon ist deine Schuld. So war es immer, seit die Götter Loki gefangen halten. Die Schnitter versuchen ihn zu befreien, und seitdem töten sie Krieger wie uns. Selbst wenn sie nicht nach dem Dolch gesucht hätten, wären sie wahrscheinlich hierhergekommen, einfach nur, um die Schüler anzugreifen und die Artefakte zu stehlen. Also denk nicht mal eine Sekunde, das hier wäre deine Schuld.«
Ich nickte, obwohl ich ihm das nicht ganz abnahm. Egal was er sagte, ich konnte nicht anders, als mir Selbstvorwürfe zu machen. Wenn ich nur klüger gewesen wäre, hätte ich den Dolch inzwischen gefunden. Wenn ich nur schneller gewesen wäre, hätte ich verhindern können, dass Carson verletzt wurde. Wenn ich nur stärker gewesen wäre, hätte ich das Schnittermädchen töten und meine Mom rächen können.
Wenn nur …
Manchmal hatte ich das Gefühl, dass diese zwei Worte die schrecklichsten der Welt waren.
Logan zog mich in seine starken Arme. Ich legte den Kopf auf seine Schulter, und er hielt mich fest …
»Flittchen«, murmelte eine Stimme hinter mir.
Immer noch in Logans Armen hob ich den Kopf und drehte ihn, um ein paar Schritte hinter mir Savannah Warren zu entdecken, die mich böse anstarrte. Savannah war eine
Weitere Kostenlose Bücher