Frostherz: Mythos Academy 3 (German Edition)
den neugierigen Blicken schützen.
Doch drinnen war es nicht besser als draußen. In jeder einzelnen meiner Stunden sahen mich die anderen an und flüsterten hinter vorgehaltener Hand oder, noch schlimmer, simsten ihre Gedanken quer durch den Raum, bis jedes einzelne Handydisplay die Neuigkeiten verkündete. Anscheinend hatte sich die Nachricht herumgesprochen, dass ich gestern im Kreios-Kolosseum gewesen war und dass ich einen Schnitter getötet hatte. Einige bedachten mich mit einem aufmunternden Lächeln, doch genauso viele schnaubten, schüttelten die Köpfe und verdrehten ungläubig die Augen. Als hätte ich nur Glück gehabt. Vielleicht war es ja so, aber das gab ihnen noch lange nicht das Recht, über mich zu urteilen oder sich über mich lustig zu machen.
Die Gerüchte, die auf dem Campus herumschwirrten, waren einfach absurd. Sie reichten von Schnittern, die das Kolosseum überfallen hatten, um sich das Gold und die Juwelen auf den Artefakten unter den Nagel zu reißen, über die Horrorgeschichte, sie hätten jeden innerhalb des Kolosseums getötet, bis zu der wilden Erzählung, Logan sei zum Berserker geworden, hätte zwei Dutzend Schnitter erledigt und die anderen dadurch so verängstigt, dass sie weinend geflohen waren. Niemand schien sich dafür zu interessieren, was wirklich geschehen war. Je ungeheuerlicher die Story war, desto schneller wurde sie von einem Handy zum nächsten geschickt.
Als schließlich das Mittagessen nahte, hatte ich genug von den verstohlenen Blicken und dem bösartigen Geflüster. Bis heute war mir nicht klar gewesen, wie sehr ich es genossen hatte, unsichtbar zu sein.
»Ich wünschte, sie würden uns nicht alle ständig anstarren«, grummelte ich. »Ich verstehe einfach nicht, warum das eine so große Sache ist. Checken die nicht, dass wir einfach Glück hatten?«
»Ich glaube, die meisten wissen, dass wir Glück hatten«, meinte Carson. »Aber fast jeder in Mythos hat schon jemanden an die Schnitter verloren. Dass ihr drei tatsächlich ein paar von ihnen im Kampf getötet habt, nun, das sorgt dafür, dass sich diejenigen, die ihre Eltern und Freunde verloren haben, ein wenig besser fühlen, verstehst du? Als hätten wir es tatsächlich mal geschafft, gegen die Schnitter zu siegen. Als hätten wir es geschafft, ihnen all das ein wenig heimzuzahlen.«
»Obwohl Samson und die anderen gestern gestorben sind?«, fragte ich.
Der Musikfreak zuckte nur mit den Schultern. Auf diese Frage hatte er genauso wenig eine Antwort wie ich.
Ich seufzte und stocherte mit der Gabel in der zarten Porzellanschüssel vor mir. Ich war mir nicht ganz sicher, was sich darin befand. Oh, es schwammen ein paar aufwendig geformte Nudeln darin herum, und etwas, das aussah wie Steak in einer würzigen Soße, aber in Mythos konnte man sich nie sicher sein. Hier konnte ein unidentifiziertes Stück Fleisch genauso gut eine Schnecke sein wie etwas anderes.
Jupp, Schnecken. Das servierte man im Speisesaal zum Frühstück, Mittagessen und Abendessen, zusammen mit Zeug wie Leber, Kalb und Hummer. Ehrlich, Leber zum Frühstück. Igitt. Doch die Chefköche der Akademie waren nur zu gern bereit, ein Leber-Zwiebel-Omelett mit Ziegenkäse und abstrusen Kräutern zusammenzurühren, wenn es das war, was man zum Frühstück eben haben wollte. Ich wusste nicht, warum die Mächtigen von Mythos sich nicht einfach mal entspannten und normales Essen servierten – oder von Lieferservices bringen ließen. Manchmal hätte ich gerne zusätzliche Hausaufgaben in Kauf genommen, nur um einen dreifachen Milchshake aus dem Pork Pit zu bekommen.
In Anbetracht der seltsamen Auswahl und des geringen Anteils an normalem Essen im Speisesaal entschied ich mich gewöhnlich für irgendeine Art von Salat mit gebratener Putenbrust. Es war ziemlich schwer, bei rohem Gemüse etwas falsch zu machen, aber die Köche von Mythos gaben ihr Bestes, indem sie die Karotten, Salate und Tomaten in überkandidelte Formen schnitten und mit sonderbaren Soßen übergossen. Heute, da ich wegen des kalten Januartages doch etwas Warmes essen wollte, hatte ich mich für die Nudeln entschieden. Inzwischen bereute ich meine Entscheidung.
Ich schob die Schüssel von mir und griff nach dem Dessert, das ich mir geschnappt hatte – Schokoladenmousse, meine Lieblingsnachspeise. Zumindest hielt ich es für Schokomousse. Das Glas war so klein, dass sich darin eigentlich nur ein einziger Löffel Dessert befand. Die Mächtigen von Mythos knauserten bei den
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