Frostherz: Mythos Academy 3 (German Edition)
die Wand prallte. »Wie hat sie es überhaupt geschafft, einen Schnitter zu töten? Sie versagt total.«
Die zwei Mädchen stimmten murmelnd zu.
»Ich weiß nicht«, sagte eines der Mädchen dann. »Irgendwas an ihr muss doch besonders sein, oder? Ist sie nicht diejenige, die während des Winterkarnevals die Lawine überlebt hat? Dieses seltsame Gypsymädchen?«
»Na ja, vielleicht ist sie mit dem Wetter besser als mit Waffen. Schlechter kann sie auf keinen Fall sein.« Der Kerl lachte über seinen eigenen lahmen Witz.
Meine Hände packten den Bogen fester, und ich dachte ernsthaft darüber nach, die Tribüne hinaufzustiefeln und ihm die Waffe über den Kopf zu ziehen.
»Lass es nicht an dich ran«, sagte Oliver leise, als er mir einen weiteren Pfeil reichte. »Sie wissen einfach nicht, wovon sie reden. Sie wissen nicht, wie toll du dich machst, besonders wenn man bedenkt, dass du nicht wie wir schon dein ganzes Leben trainierst.«
Ich wusste, dass Oliver recht hatte, aber das brachte das Kichern auf der Tribüne hinter mir nicht zum Verstummen – und beruhigte mich auch nicht. Trotzdem biss ich die Zähne zusammen und hob den Bogen, entschlossen, den Rest des Trainings so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. Ich zielte und ließ die Sehne los.
Der nächste Schuss, der nächste Pfeil daneben. Hinter mir wurde das Kichern lauter, bis es mir vorkam, als hallte es von einem Ende der Halle zum anderen.
Ich seufzte. Ich konnte nicht hellsehen, nicht wie Grandma Frost, aber ich hatte das Gefühl, dass es einer dieser Tage werden würde.
Nachdem die Demütigung des Waffentrainings endlich vorbei war, trat ich aus der Turnhalle ins Freie. Der obere Hof war das Zentrum der Mythos Academy. Um ihn herum standen die fünf Gebäude, in denen die Schüler den Großteil ihrer Zeit verbrachten – das mathematisch-naturwissenschaftliche Gebäude, das Gebäude für Englisch und Geschichte, die Turnhalle, der Speisesaal und die Bibliothek der Altertümer. Jedes der Gebäude stand an einem anderen Ende des Hofs wie die Spitzen eines Sterns.
Aus der Ferne wirkten alle Gebäude alt und protzig mit ihren dunkelgrauen Steinmauern und den hohen, schlanken Fenstern. Aber wenn man genauer hinsah, bemerkte man, dass die schweren Efeuranken sich wie grüne, knochige Finger an die Türen und Fenster klammerten, während Balkone, Türme und Geländer wie Schwertspitzen aus dem Stein ragten. Die scharfen Kanten glitzerten in der Wintersonne, und mir erschien es immer, als würden die Türme sich strecken, um den Himmel zu erstechen.
Und dann waren da noch die Statuen.
Greifen, Wasserspeier, Drachen, ein Minotaurus, Chimären und Dutzende anderer mythologischer Kreaturen belagerten jedes einzelne Gebäude von oben bis unten. Eine Klaue hier, ein paar Hauer dort und an der nächsten Ecke Reißzähne, die länger waren als meine Finger. Die unheilvollen Statuen vermittelten das Gefühl, lebensechte Abbildungen der verschiedenen Kreaturen zu sein, bis hin zu all den Möglichkeiten, die die echten Wesen hatten, einen in Stücke zu reißen. Aber was sie für mich so unheimlich machte, war die Tatsache, dass die offenen, lidlosen Augen der Statuen immer meine Bewegungen zu verfolgen schienen, als lauerte unter dem Stein etwas darauf, sich zu befreien und mich aufzufressen. Egal, wo ich hinging oder wie schnell ich mich bewegte, ich konnte den kalten, starren Blicken der Monster nie entkommen.
Doch heute waren die Statuen nicht die Einzigen, die mich beobachteten.
Ich hatte geglaubt, mein Martyrium würde nach dem Waffentraining ein Ende finden, aber zu meiner Überraschung hielt es den gesamten restlichen Tag an. Seit ich nach Mythos ging, war ich für die anderen Schüler mehr oder weniger unsichtbar. Ich war weder reich noch hübsch noch mächtig oder beliebt wie scheinbar alle anderen. Wenn die anderen mich überhaupt bemerkten, dann nur weil sie mich als Gwen Frost kannten, das Gypsymädchen, das Gegenstände berührte und Dinge sah. Na ja, das oder sie wollten, dass ich etwas fand, was sie verloren hatten, wie ihr Handy, den Laptop oder ein Sechserpack Bier, das sie in ihr Wohnheimzimmer geschmuggelt hatten.
Heute war es vollkommen anders.
Zwischen jeder meiner Stunden drehten alle anderen Schüler den Kopf, um mich anzustarren, als wäre ich eine Art Zirkusfreak. Die bärtige Dame, die man einfach anstarren muss. Ich hielt den Kopf gesenkt, während ich zu meiner nächsten Stunde eilte, als könnte mich das irgendwie vor
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