Frostherz: Mythos Academy 3 (German Edition)
nicht unbedingt grundehrlich waren. Meine Gypsygabe und all die schlimmen, schlimmen Dinge, die ich damit gesehen hatte, hatten mich in dieser Hinsicht ein wenig abgestumpft. Okay, okay, ich war echt total abgestumpft.
»Würdest du dich bitte ein wenig beeilen?«, zischte Daphne. »Sie kann jeden Moment zurückkommen. Ich verstehe einfach nicht, warum wir das überhaupt machen.«
Ich schob meinen Führerschein zwischen den Türrahmen und das Schloss, das mich aus Savannah Warrens Zimmer aussperrte. »Es würde um einiges schneller gehen, wenn du den Mund halten würdest, statt ständig zu drängeln. Ich kann mich nur auf eine Sache gleichzeitig konzentrieren.«
»Und ich dachte, du wärst eine phantastische Multitaskerin«, murmelte Daphne, während ihr Blick zum zehnten Mal in der letzten Minute durch den leeren Gang Richtung Treppe glitt.
Ich verdrehte die Augen und wollte sie schon anblaffen, da glitt mein Führerschein genau an die gewünschte Stelle und das Schloss öffnete sich.
»Bingo«, flüsterte ich, drehte den Knauf und betrat das Zimmer.
Daphne blieb mit unsicherem Blick im Türrahmen stehen. Wieder verdrehte ich die Augen.
»Nun steh da nicht einfach rum.« Ich packte ihren Arm und zog sie nach drinnen. »Der Trick bei einem Einbruch ist, die aufgebrochenen Räume auch tatsächlich zu betreten. Nicht, im Flur herumzustehen, wo jeder genau sehen kann, was man tut.«
»Tut mir leid«, murmelte Daphne. »Ich habe einfach noch nicht so viel Erfahrung in solchen Dingen wie du, Gwen.«
Ja, wir meckerten uns total an, aber das störte mich nicht. Seit dem Schnitterangriff hatten wir uns nicht mehr so normal verhalten wie jetzt.
»Sagst du mir noch mal, warum wir hier sind?«, fragte Daphne, während sie auf Zehenspitzen zu dem Bücherregal schlich, das neben der Tür an der Wand stand.
»Weil Vivian mich angeheuert hat, ihren Ring zu finden, und sie ihn zum letzten Mal gesehen hat, als sie mit Savannah zusammen war.«
Ja, ja, ich wusste, dass es wichtigere Dinge gab, die ich hätte tun können. Zum Beispiel herauszufinden, ob Metis und die anderen schon entdeckt hatten, wo Preston und das Schnittermädchen sich versteckten. Aber ich hatte Vivians Geld in dem Versprechen genommen, ihren Ring zu finden, und ich schuldete es ihr, es wenigstens zu versuchen. Besonders, da ihr der Ring so viel bedeutete, weil er ihrer Mom gehört hatte. Ich wusste, wie es war, seine Mutter zu verlieren, und dass man jedes Erinnerungsstück bewahren wollte, das man noch besaß.
Außerdem wollte ich diese Woche wenigstens etwas richtig machen. Vielleicht gelang mir das ja in Bezug auf Vivians Ring. Auf jeden Fall lenkte es mich von all meinen anderen Problemen ab – zumindest für eine Weile.
»Und?«, fragte Daphne. »Savannah hat ihn sich wahrscheinlich nur ausgeliehen, ohne es ihr zu sagen. Das machen Freundinnen doch ständig.«
Ich zog eine Augenbraue hoch. »Wirklich? Also könnte ich mir deine, ich weiß nicht, deine Lieblingstasche ausborgen, ohne dir etwas zu sagen, und das wäre in Ordnung für dich?«
Sie kniff die Augen zusammen. »Es wäre in Ordnung, aber du solltest es besser nicht tun, wenn du lang genug leben willst, um das Schuljahr zu Ende zu bringen.«
»So habe ich mir das gedacht.« Ich ging zum Schminktisch. »Und jetzt hilf mir, Vivians Ring zu suchen.«
»Schön«, schnaubte Daphne und trat einen Schritt vor. »Aber ich mache das nur unter Protest.«
»Zur Kenntnis genommen. Und jetzt halt den Mund und fang an zu suchen.«
Die nächsten zehn Minuten verbrachten wir damit, Savannahs Zimmer auf den Kopf zu stellen. Okay, okay, vielleicht war auf den Kopf stellen nicht der richtige Ausdruck, aber wir schauten in jedes Fach, jeden Spalt und jede Nische, die wir finden konnten. Wir durchsuchten alle üblichen Orte, von denen Schüler dachten, dort würde niemals jemand ihr Geheimversteck finden, ob sie dort nun Schokoriegel aufbewahrten, Bier, Zigaretten oder eben das notwendige Zubehör für ihr Laster der Wahl. Unter der Matratze. Angeklebt unter einer Schublade. In einer Plastiktüte im Spülkasten der Toilette. Ich kannte all die guten Verstecke. Meine Mom hatte mir erzählt, wo sie als Polizistin Dinge gefunden hatte.
»Nichts«, sagte Daphne, als wir fertig waren. »Siehst du? Ich habe dir doch gesagt, dass Savannah den Ring nicht hat. Können wir jetzt bitte von hier verschwinden, bevor sie zurückkommt? Savannah will sich heute Nachmittag mit Talia und Vivian in ihrem Zimmer treffen.
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