Frostherz: Mythos Academy 3 (German Edition)
bisher nicht bemerkt und für einen Teil des zufälligen Gekritzels auf der restlichen Seite gehalten hatte. Aber je länger ich den Pfeil anstarrte, desto schneller klopfte mein Herz. Warum sollte meine Mom dort einen Pfeil hinmalen? Warum an diese bestimmte Stelle? Mein Blick huschte zwischen ihrer Zeichnung und den Fotos im Buch hin und her.
Es kostete mich einige Sekunden zu bemerken, dass nur eine der Statuen einen Sockel besaß.
Es war die rechte Statue, diejenige, die meine Mom in der Erinnerung anstarrte, in der sie auf den Bibliotheksstufen saß. Dieser Greif kauerte auf einer rechteckigen, vielleicht zehn Zentimeter hohen Steinplatte, während die andere Statue aussah, als hätte sie sich einfach ohne stützenden Sockel neben den Stufen niedergelassen.
Mein Herz schlug immer schneller, bis es genauso raste wie meine Gedanken. Was, wenn meine Mom – vielleicht, nur vielleicht – den Dolch gar nicht in der Bibliothek der Altertümer versteckt hatte? Was, wenn sie ihn stattdessen draußen verborgen hatte? Was, wenn sie ihn in den Sockel der Greifenstatue geschoben hatte, um ihn in Sicherheit zu bringen?
Nein, dachte ich. Das war dämlich. Die Antwort konnte nicht so einfach sein. Hunderte von Schülern wanderten tagtäglich an dieser Statue vorbei. Sicherlich hätte jemand den Dolch inzwischen gefunden. Meine Phantasie schob Überstunden, und es war bestimmt wieder eine falsche Spur, so wie die Kreuze auf der Karte des Schnittermädchens.
Ich schloss die beiden Bücher und stopfte sie zurück in meine Tasche. Aber ich schaffte es einfach nicht, mich zu beruhigen und meine Gedanken von diesem Pfeil zu lösen – diesem winzigen Pfeil, der auf den Greifen zeigte. Je mehr ich gegen den Drang ankämpfte, nach draußen zu laufen und mir die Statue anzusehen, desto intensiver wurde das Gefühl, dass ich es tun musste – dass ich es genau jetzt in dieser Sekunde tun musste .
Ich sprang von meinem Stuhl auf.
Ich rannte um den Ausleihtresen, die lange, zentrale Regalreihe entlang, durch die Doppeltür, in den Flur und schließlich nach draußen. Die Nacht war kalt, so kalt, dass die Luft in meinen Lungen brannte. Dunkler Frost hatte sich bereits über den gesamten oberen Hof gelegt und hüllte alles in unheilvolles, schattiges Silber. Der Platz war menschenleer, und bis auf den Frost, die Dunkelheit und die Statuen war ich vollkommen allein. Selbst jetzt hatte ich das Gefühl, dass die steinernen Wesen mich aus den Schatten beobachteten und jede meiner Bewegungen überwachten.
Doch ich hatte nur Augen für die Greifenstatue, diejenige, die rechts der Treppe saß. Ich beugte mich vor, um sie mir genauer anzusehen und mit der linken zu vergleichen. Genau wie auf den Fotos und in der Zeichnung meiner Mom stand die rechte Statue auf einem Sockel, während die linke keinen besaß.
Ich stand eine Weile nur da, starrte die Statue an, fragte mich, ob ich recht hatte und ob ich das wirklich tun sollte. Ich hatte immer das Gefühl, dass unter dem Stein der Statuen eine Macht lauerte, besonders bei den Greifen vor der Bibliothek. Was, wenn ich sie berührte und die Statue zum Leben erwachte? Es war niemand auf dem Platz. Niemand würde meine Schreie hören. Selbst wenn Nickamedes auf wundersame Weise innerhalb der Bibliothek etwas mitbekam und nachsah … nun, bis er mich erreichte, wäre wahrscheinlich nicht mehr viel von mir übrig.
Doch ich musste es tun. Laut Nike war den Dolch zu finden und ihn an einem neuen, sichereren Ort zu verstecken der einzige Weg, Loki in seinem Gefängnis zu halten. Den Dolch zu beschützen würde den bösen Gott daran hindern, seine Armee aus Schnittern zu sammeln und wieder zu versuchen, die Welt zu übernehmen.
Ich hatte diese Woche bereits Leute sterben sehen, Jugendliche, mit denen ich zur Schule ging, Schüler meines eigenen Alters, die es nicht verdient hatten, so früh den Tod zu finden. Ich hatte die Tränen und die Angst der anderen Schüler und Lehrer auf dem Campus gesehen, und ich konnte mir nur vorstellen, was die Familien der Ermordeten durchmachten, während sich die Trauer in ihren Herzen einnistete. Ich wollte nicht, dass noch jemand verletzt wurde. Ich wollte nicht, dass irgendjemand jemals wieder solchen Schmerz ertragen musste.
Ich dachte an meine Mom und daran, wie clever und tapfer sie den Dolch versteckt hatte. Obwohl sie gestorben war, wollte ich sie stolz machen. Sie und Grandma Frost und all meine anderen Vorfahren, die Nike über die Jahrhunderte gedient
Weitere Kostenlose Bücher