Frostkuss
bildeten«, fuhr Professor Metis fort. »Also kämpften die Schnitter gegen die Angehörigen des Pantheons, und die Welt versank im Chaoskrieg. Bruder wandte sich gegen Bruder, Schwester gegen Schwester. Familien wurden zerrissen, dahingeschlachtet oder Schlimmeres. Der Krieg tobte fast ein Jahrhundert, und Loki stand an der Schwelle zum Sieg, als ein Gott es wagte, ihn zum Zweikampf herauszufordern. Und wer war dieser Gott?«
Nike, die griechische Göttin des Sieges. Irgendwoher wusste ich die Antwort, bevor Metis die Worte aussprach.
»Nike, die griechische Göttin des Sieges«, antwortete sie sich selbst. »Loki lachte, aber er stimmte Nikes Bedingung zu, dass der Gewinner des Zweikampfes auch den Krieg gewonnen hätte. Was bedeutete, dass der Chaoskrieg entweder enden oder die gesamte Welt verschlingen würde.«
Zu diesem Zeitpunkt hielten wir es alle vor Spannung kaum noch aus, selbst ich, Gwen Frost, das Gypsymädchen, das nichts von diesem Zeug wirklich glaubte. Wir wollten alle hören, wie es ausgegangen war, wie Loki besiegt worden war, als alle Hoffnung schon verloren schien. Selbst wenn all das nie wirklich stattgefunden hatte, war es immer noch eine tolle Geschichte, so gut wie jeder der Comics, die in meinem Zimmer lagen.
»Natürlich dachte Loki, er würde gewinnen«, erklärte Metis. »Zu diesem Zeitpunkt war er unglaublich mächtig, und kein einzelner Gott, kein Krieger und keine Kreatur konnten ihm widerstehen. Aber er vergaß eine Kleinigkeit – dass Nike die Göttin des Sieges war.«
»Und?«, fragte ein Wikinger hinter mir. »Was spielt es für eine Rolle, dass sie die Göttin des Sieges war, wenn Loki all diese Macht besessen hat?«
Damit fasste er so ziemlich meine Gedanken in Worte. Aber statt sich über die Frage aufzuregen, schenkte Professor Metis uns ein triumphierendes Lächeln.
»Nike ist viel mehr als nur die Göttin des Sieges – sie ist die Verkörperung des Sieges, die Essenz . So wie jeder andere Gott auch die Essenz von etwas ist. Nike ist der Sieg selbst, und so kann sie niemals besiegt werden.«
Metis hielt inne, um uns Zeit zu geben, diese seltsame Aussage vollständig zu erfassen. Nike, die Wahnsinnskriegergöttin. Verstanden. Wie Xena, nur cooler.
»Aber Nike war nicht auf sich allein gestellt. Sie trug im Kampf immer ihr großes Schwert des Sieges, zusammen mit einem Schild, den ihr einer der spartanischen Könige geschenkt hatte. Und es gab andere Artefakte, welche die Mitglieder des Pantheons nutzten, um die Schnitter zu besiegen. An Nikes Seite war immer ein einzelner Krieger, eine persönliche Wache, die alle umbrachte, die der Göttin in den Weg traten. So konnte sie Loki unverletzt erreichen. Loki als der hinterlistige Gott, der er war, versuchte natürlich, Nike ermorden zu lassen, bevor sie ihn erreichen konnte, aber Nikes Wache sorgte dafür, dass das nicht geschah.«
Metis hielt einen Moment inne, um wieder zu Atem zu kommen. Ihre bronzenen Wangen waren leicht gerötet, und ihre grünen Augen blitzten hinter der silbernen Brille. Aufgeregter und lebhafter hatte ich meine Professorin noch nie gesehen. Sie musste wirklich gerne über diesen speziellen Kampf reden. Auf jeden Fall sorgte sie dafür, dass er für mich lebendig wurde.
»Also fochten Loki und Nike einen großen Kampf. Und es waren nicht sie allein, die kämpften. Alle ihre Anhänger waren ebenfalls dort. Schnitter und Angehörige des Pantheons. Manche Historiker behaupten, der Kampf habe sich über Tage gezogen, andere sagen, es seien Wochen gewesen. Aber als sie endlich nah genug herangekommen war, um zuzuschlagen, gelang Nike, was kein anderer Gott gekonnt hatte – sie besiegte Loki.«
Wir blätterten wieder um, und dort sahen wir eine Tuschezeichnung von Nike.
Die Göttin stand über einem Mann, der vor ihr auf dem Boden lag. Ihr in einer Sandale steckender Fuß ruhte auf seiner Brust, ihr Schwert an seiner Kehle. Ein runder Schild hing an ihrer Seite. Sie wirkte stolz, stark und irgendwie gleichzeitig auch ernst. Und obwohl es nur eine Zeichnung war, strahlte die Göttin eine kalte, harte, schreckliche Art von Schönheit aus.
Ihre majestätische Gestalt stand in völligem Gegensatz zu dem Mann zu ihren Füßen – Loki. Er sah genauso aus wie in dem anderen Bild. Sein Mund zu einem wütenden Schrei aufgerissen, seine Augen zu schlangengleichen Schlitzen zusammengekniffen, sein geschmolzenes Gesicht eine dunkle, gefährliche, bösartige Fratze.
Für einen Moment flackerte das Bild vor
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