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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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engagiert und melden solche Dinge gleich, dann greifen wir ein.«
    »In jeder Schule gibt’s irgendwelche Probleme, nehme ich an«, sagte Sigurður Óli. »Problemkinder. Mädchen und Jungen, die immer Unruhe stiften.«
    »Solche Schüler gibt es in der Tat an jeder Schule.«
    Der Rektor sah Sigurður Óli nachdenklich an. »Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich dich kenne«, sagte er auf einmal. »Wie war noch dein Name?«
    Sigurður Óli stöhnte innerlich. »Sigurður Óli«, antwortete er.
    »Sigurður Óli?«, wiederholte der Rektor nachdenklich. »Sigurður Óli? Warst du hier an der Schule?«
    »Das ist lange her. Vor 1980. Und nur ganz kurz.«
    »Sigurður Óli?«, murmelte der Rektor ein weiteres Mal.
    Sigurður Óli sah, dass der Mann sich an ihn zu erinnern versuchte. Ihm war klar, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis der Kerl schaltete. Deswegen verabschiedete er sich hastig. Die Polizei würde wiederkommen und mit Schülern, Lehrern und anderem Personal reden. Er war schon in der Tür, als der Groschen beim Rektor zu fallen schien.
    »Warst du dabei, als die große Randale siebenund…«
    Den Rest des Satzes hörte Sigurður Óli nicht mehr, da er bereits mit raschen Schritten das Lehrerzimmer durchquerte. Die Hausmeisterin war nirgends zu sehen. So spät am Tag war das Gebäude wie ausgestorben. Eigentlich wollte er geradewegs wieder in die Kälte hinaus, aber dann hielt er inne und blickte nach oben. Er zögerte einen Augenblick, ging dann aber wieder die Treppe hoch, und kurz darauf war er im dritten Stock angelangt. An den Wänden hingen die alten Klassenfotos, versehen mit den Klassenbezeichnungen und den Jahreszahlen. Er fand das Foto, das er suchte, blieb davor stehen und betrachtete sich selbst als zwölfjährigen Schüler. Die Klasse hatte sich in drei Reihen aufgestellt. Er selber stand in der hintersten Reihe und starrte mit ernstem Gesichtsausdruck direkt in die Kamera, in einem dünnen, wild gemusterten Hemd mit ausladendem Kragen und der neuesten Disko-Frisur.
    Sigurður Óli starrte lange auf das Foto.
    »Entsetzlich«, stöhnte er.

Vier
    Erlendurs Handy gab keine Ruhe. Zuerst rief Sigurður Óli an, berichtete ihm über sein Gespräch mit dem Rektor und erklärte, auf dem Weg zur Klassenlehrerin des Jungen zu sein und zu einem anderen Lehrer, der dagegen war, dass Ausländer ins Land kamen. Als Nächstes meldete sich Elínborg, die ihm sagte, ein Zeuge, der im gleichen Treppenaufgang wie Sunee wohnte, glaube, den älteren Bruder tagsüber gesehen zu haben. Der Chef der Spurensicherung schließlich informierte ihn über die Ansicht des Gerichtsmediziners, dass der Junge nur einen Stich aufweise, der mit einem sehr scharfen Gegenstand ausgeführt worden sei, wahrscheinlich einem Messer.
    »Mit was für einem Messer?«, fragte Erlendur.
    »Die Klinge dürfte ziemlich breit gewesen sein und wohl auch ziemlich dick, aber mit sehr scharfer Schneide«, erklärte der Chef der Spurensicherung. »Es ist keineswegs gesagt, dass der Stich viel Kraft gekostet haben muss. Der Junge könnte am Boden gelegen haben, als er erfolgte. Der Anorak ist hinten dreckig, und er ist auch zerrissen. Da er relativ neu ist, kann das womöglich bedeuten, dass es zu einem Kampf gekommen ist. Er hat wohl versucht, sich zu wehren. Das kann einen nicht überraschen, aber die einzige Verletzung ist dieser Messerstich, der nach Angaben des Arztes in die Leber eingedrungen ist. Der Blutverlust führte zum Tod.«
    »Du gehst davon aus, dass keine große Kraftanstrengung notwendig war, um mit dem Messer so tief einzudringen?«
    »Wäre denkbar.«
    »Es könnte sich also auch um ein Kind oder einen Jugendlichen handeln, einen Gleichaltrigen womöglich?«
    »Schwer zu sagen. Fest steht, dass es eine extrem scharfe Waffe war.«
    »Und der Zeitpunkt des Todes?«
    »Gemessen an der Körpertemperatur ist der Tod etwa eine Stunde zuvor eingetreten, also eine Stunde, bevor er gefunden wurde. Darüber solltest du mit dem Gerichtsmediziner reden.«
    »Offensichtlich ist er also von der Schule aus direkt nach Hause gegangen.«
    »Es hat den Anschein.«
    Erlendur nahm wieder in dem Sessel gegenüber von den Geschwistern aus Thailand Platz. Guðný setzte sich neben sie auf das Sofa. Erlendur gab die Informationen, die er erhalten hatte, an die Dolmetscherin weiter. Sunee hörte schweigend zu. Sie hatte aufgehört zu weinen. Ihr Bruder warf eine Bemerkung ein, und sie sprachen eine ganze Weile halblaut miteinander.
    »Worüber

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