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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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ist mit Niran?«
    »Darüber müsstest du eigentlich mit seinem Klassenlehrer reden«, sagte Agnes. »Solche Kinder in halbwüchsigem Alter, die hierherkommen und die Sprache nicht beherrschen, haben schon manchmal Probleme.«
    »Zu denen gehört also Niran«, sagte Sigurður Óli.
    »Ja. Im Grunde genommen darf ich nicht so über betroffene Schüler reden, aber dies ist natürlich ein Sonderfall. Er scheint kaum Interesse daran zu haben, Isländisch zu lernen, bei ihm hapert es schon beim Lesen, und er versteht nicht sonderlich viel. Es ist ja auch schwer für die armen Kinder, Isländisch zu lernen, weil die Sprachen so unterschiedlich sind. Im Thailändischen ändert sich die Bedeutung der Wörter je nach der Tonhöhe. Isländisch ist da ganz anders.«
    »Du hast gesagt, dass Elías ein guter Schüler war«, sagte Sigurður Óli.
    »Das war er«, sagte Agnes. »Seine Mutter Sunee weiß, was sie will. Ihre Jungen sollen eine Ausbildung bekommen. Intelligent sind die beiden, auch wenn sie ansonsten sehr verschieden sind.«
    »Inwiefern verschieden?«
    »Elías kenne ich natürlich sehr viel besser«, erklärte Agnes, »aber ich habe auch seinen Bruder manchmal unterrichtet. Elías mochte wie gesagt jeder gern, er war gutherzig und immer freundlich zu allen. Allerdings hatte ich trotzdem nicht das Gefühl, dass der arme Kleine viele Freunde hatte.«
    »Sie sind erst vor Kurzem hier in dieses Viertel gezogen«, sagte Sigurður Óli.
    »Sein Bruder ist ganz anders als er«, sagte Agnes.
    »Inwiefern anders?«
    »Ich kenne ihn wie gesagt zwar nicht sehr gut, aber ich habe das Gefühl, dass er aus sehr viel härterem Holz geschnitzt ist. Er hat keine Angst, den Mund aufzumachen und sich zu wehren, und er ist stolz auf seine Abstammung, stolz darauf, ein Thai zu sein. Das findet man nicht häufig bei diesen Kindern oder ganz generell bei einem Kind. Sie scheinen nur ganz wenig über ihre Herkunft und Geschichte zu wissen. Ich habe das einmal gespürt, als ich eine Vertretungsstunde in seiner Klasse gab. Da hat er über seinen Urgroßvater geredet. Niran hat große Hochachtung vor ihm und all seinen Verwandten in Thailand.«
    Sunees direkter Nachbar auf derselben Etage war ein Mann um die siebzig, der allein lebte. Er sagte aus, dass er keine Nachrichten gehört hätte und äußerst überrascht gewesen wäre, als er beim Nachhausekommen die Streifenwagen und die hektische Betriebsamkeit bemerkte. Es hatte ein wenig Ärger mit den Polizeibeamten am Hauseingang gegeben, denen er Rede und Antwort stehen musste, wer er war und wo er wohnte, und er hatte etwas gegen Ausfragerei dieser Art. Die Polizisten verweigerten jegliche Auskunft darüber, was vorgefallen war. Er war deswegen immer noch ziemlich aufgebracht, als er oben auf seiner Etage ankam. Dort wurde er von Erlendur in Empfang genommen, der sich als Mitarbeiter der Kriminalpolizei auswies.
    »Was zum Kuckuck geht hier eigentlich vor?«, fragte der Mann kurzatmig vom Treppensteigen. In der Hand hielt er eine Einkaufstüte. Er war mittelgroß und trug einen abgewetzten Anzug und eine Krawatte, die zu nichts passte, und darüber einen grünen Anorak. Auf Erlendur machte er einen ungepflegten Eindruck, wie so viele alleinstehende Männer, mit denen er zu tun hatte. Der Mann war schlank, hatte Geheimratsecken und ziemlich große, vorspringende Augen, schmale Augenbrauen und eine hohe, intelligente Stirn.
    Erlendur erklärte ihm die Zusammenhänge und sah, dass der Mann sichtlich erschrocken reagierte.
    »Elías!«, stöhnte er und warf einen Blick auf Sunees Tür. »Was sagst du da? Der arme Junge! Wer hat das getan? Hat man den Täter bereits gefunden?«
    Erlendur schüttelte den Kopf.
    »Kennst du die Leute gut?«, fragte er.
    »Ich kann es nicht fassen, all die Polizeiautos … und das wegen Elías … Was ist mit seiner Mutter? Die arme Frau, ihr muss es entsetzlich gehen!«
    »Sie sind deine direkten Nachbarn gewesen, seit …«, sagte Erlendur.
    »Wer bringt so etwas fertig?«
    »Du musst sie doch gekannt haben«, sagte Erlendur.
    »Was? Ja, doch, natürlich habe ich sie gekannt. Elías ist manchmal für mich ins Geschäft gelaufen, ein äußerst liebenswürdiger Junge. Der hat die ganzen Treppen in null Komma nichts geschafft. Ich kann es einfach nicht glauben.«
    »Ich muss dir ein paar Fragen stellen, wenn du nichts dagegen hast«, sagte Erlendur. »Als ihrem nächsten Nachbarn.«
    »Mir?«
    »Es dauert nicht lange.«
    »Dann komm herein«, sagte der Mann und zog

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