Frozen Time (German Edition)
zu allen für uns zugelassenen Einrichtungen, unser Pass, unsere Identität. Aber natürlich weiß ich, dass Robin recht hat.
Das Insignal hat mich ja erst an die Drohnen verraten, als ich durch die Eingangstür des MediCenters hinausgelaufen bin. Es hat Robin zu mir geführt, aber vermutlich auch die Officer, die uns nun verfolgen. Es wird mich wieder verraten, sobald ich an die Oberfläche komme!
»Und wie geht das?«, frage ich und kann ein leichtes Zittern in meiner Stimme nicht unterdrücken.
»Ganz einfach.« Er zieht eine dünne Zange aus einer seiner großen Hosentaschen. Vorsichtig fasst er mein Handgelenk und schiebt die geöffnete Zange zwischen das glänzende Band und die weiche Haut auf der Innenseite meines Armes. Unwillkürlich schließe ich die Augen, dann höre ich ein leises Ratschen, und als ich die Augen wieder öffne, hält Robin mein durchtrenntes Insignal bereits in der Hand. Erst jetzt fällt mir auf, dass sein Handgelenk ebenfalls nackt ist.
Wie leicht es ist, sich von seiner eigenen Identität zu trennen, schießt es mir durch den Kopf. Aber wer würde das schon wollen? Das Insignal garantiert uns im normalen Leben alle Annehmlichkeiten, die mit unserem Status einhergehen. Was immer wir brauchen – Kleidung, Essen und alle Gegenstände destäglichen Bedarfs –, erhalten wir nur mithilfe des Insignals. Es gibt keinen Grund, freiwillig darauf zu verzichten.
»Danke«, sage ich.
»Kein Problem.« Er lässt das Insignal in dieselbe Hosentasche gleiten, aus der er zuvor die Zange geholt hat, als wäre es eine Selbstverständlichkeit für ihn, andere Menschen von ihrer Identität zu befreien.
»Und jetzt verschwinde«, sagt Robin bestimmt und deutet auf die Sprossenleiter. Wieder zögere ich einen Moment, will noch etwas sagen, weiß aber nicht, was. Dann greife ich nach den schmalen, kalten Metallstäben und klettere nach oben.
Ich habe die Leiter schon zur Hälfte erklommen, als Robin leise meinen Namen ruft. Ich drehe mich um, sehe ihn direkt unter mir stehen.
»Viel Glück«, wünscht er mir. »Und wenn du noch mal Hilfe brauchst, komm einfach hier herunter, ich werde dich finden.« Er lacht rau, und ich weiß, dass er sein Versprechen ernst meint. Ich weiß nur nicht, ob ich jemals die Chance haben werde, hierher zurückzukehren. Ich klettere weiter und zwinge mich, nicht noch einmal nach unten zu schauen.
KAPITEL 8
Am Ende der Sprossenleiter stoße ich auf ein rundes Gitter, probehalber drücke ich dagegen und es lässt sich problemlos anheben. So weit, so gut. Ich atme tief durch. Dann schiebe ich das Gitter zur Seite und hieve meinen Körper durch die Öffnung. Mittlerweile ist es Abend geworden, der Mond steht am Himmel. Flach auf den Boden gedrückt, bleibe ich liegen und sehe mich hektisch um. Ein winziger Hinterhof, menschenleer und dunkel. Direkt neben dem Lüftungsschacht befindet sich eine hohe Mauer. Robin hatte recht, dieser Ausstieg ist so gut verborgen, dass die Wahrscheinlichkeit gering ist, hier von jemandem entdeckt zu werden. Ich schalte die Beleuchtung meiner Kapuze an, damit ich im Dunkeln nicht über irgendetwas stolpere, dann komme ich wieder auf die Beine und schiebe mich an der Mauer entlang, bis ich einen Blick auf die dahinterliegende Straße erhasche.
Fahles Mondlicht wird von den Parabolspiegeln auf den Dächern reflektiert und taucht die Straße, auf der ebenfalls kein Mensch unterwegs ist, in seinen schwachen, silbernen Schein.So spät am Abend sind garantiert alle Bürger in ihre Appartements zurückgekehrt, wo sie Holovision schauen oder bereits schlafen gegangen sind. Tatsächlich kann ich nur noch in wenigen Fenstern Lichter entdecken.
Und jetzt? Ich lehne mich mit dem Rücken an die Mauer und versuche, mir meine nächsten Schritte zu überlegen. Schnell muss ich mir eingestehen, dass ich überhaupt keinen Plan habe, wie es weitergehen soll. Das Einzige, was mir immer wieder durch den Kopf geht, ist, dass ich herausfinden muss, was genau mit mir passiert ist. Und natürlich, was mit Finn passiert ist. Aber wie?
Wenigstens ist die Gefahr, von Officern geortet zu werden, ohne mein Insignal gering. Trotzdem beschleicht mich ein ungutes Gefühl, wenn ich daran denke, dass ich es Robin einfach so überlassen habe, und ich betrachtete unsicher mein nacktes Handgelenk, das im dünnen Mondlicht bleich wirkt. Mein Insignal war das Einzige, das mich mit meiner eigenen Vergangenheit verbunden hat. Die Daten darauf hätten mir vielleicht Aufschluss
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