Frozen Time (German Edition)
dürfen«, erlöst Milo mich schließlich.
Es muss Mittagszeit sein, denn eine Vielzahl der Parkbesucher steuert jetzt auf das FreizeitCenter zu. Zwischen den weißen, bunt gesträhnten und gefärbten Schöpfen der Seniors sieht man immer wieder auch die dunklen oder blonden Haare eines Juniors auftauchen. Unbemerkt schließen wir uns dem Strom der Menschen an, folgen ihm, bis wir das Portal fast erreicht haben, um dann, so als hätten wir es uns anderes überlegt, auszuscheren und seitlich an der Fassade entlangzugehen.
Ich zwinge mich zu einem gemächlichen Schritt, als wollten wir nur bummeln, gleichzeitig sind meine Augen mit voller Konzentration auf die Panoramafenster gerichtet. Durch die Spiegelung des Glases kann ich zunächst nur die Umrisse der Menschen in der Eingangshalle erkennen, doch dann biegen wir um die Ecke, und das Licht fällt in einem günstigeren Winkel auf die Scheiben, sodass ich besser sehe, was dahinter vor sich geht. Seniors sitzen einzeln oder zu zweit an kleinen Tischen im Speisebereich, große Gruppentische wie im JuniorCenter gibt es hier nicht. Die Gesichter derjenigen, die an den Fenstern Platz genommen haben, scheinen mir so nahe zu sein, dass ich Details bis hin zu den Fältchen um die Augen und Mundwinkel wahrnehme.
»Und?«, fragt Milo gespannt, aber ich bedeute ihm mit ausgestreckter Hand, leise zu sein. Ich kneife meine Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, um noch besser sehen zu können.
Und dann entdecke ich sie.
Sie sitzt an einem Einzeltisch in der Ecke und pickt mit ihrer Gabel in einer großen Schüssel herum, holt einzelne Salatblätter heraus, betrachtet sie und lässt die Gabel dann wieder in die Schüssel sinken. Ihre schlohweißen Haare scheinen in alle Richtungen vom Kopf abzustehen. Zahllose kleine Fältchen bedecken ihr Gesicht; es ist schon eine Weile her, dass sie sich die Haut hat straffen lassen, und sie verzichtet auch auf die verjüngende Wirkung eines permanenten Make-ups. Ich erkenne sie wieder, nicht nur von dem Holo im Hirnscanner, und ich spüre eine starke Verbundenheit, die mich zu ihr hinzuziehen scheint. Sie sieht müder aus als auf dem Holo, als sie jetzt mit leerem Blick über die Schüssel in den Raum schaut, als würde sie etwas suchen.
Das Kribbeln in mir ist so heftig geworden, dass ich das Gefühl habe, unter Strom zu stehen. Ich weiß, was diese Frau sucht, oder besser gesagt: wen.
Mich.
»Und?«, hakt Milo noch einmal nach. Mein angespanntes Schweigen wird ihm langsam zu viel, aber ich bin nicht in der Lage zu antworten.
Meine verschwitzten Hände drücken gegen die Fensterscheibe, hinterlassen einen feuchten Film darauf, als sie langsam nach unten rutschen.
»Doreen«, flüstere ich den Namen der Frau.
»Was hast du gesagt?«, fragt Milo nach. Ich will es ihm sagen,will ihm sagen, dass ich mich an den Namen dieser Frau mit den wilden weißen Haaren erinnere und weiß, dass sie dort drin auf mich wartet. Aber genau in diesem Moment drehen sich die Seniors, die nur etwa einen Meter von uns entfernt auf der anderen Seite der Scheibe sitzen, zu uns um, sie haben meinen Schatten oder meine Schweißspuren auf dem Glas bemerkt. Jetzt sehen sie mich, und ich weiche reflexartig zurück, mache drei große Schritte rückwärts, taumele weg von diesem Fenster, von dieser Erinnerung an einen Namen.
»Was ist denn los?«, fragt Milo eindringlich.
Da stößt mein Rücken gegen einen anderen Körper und der Zusammenstoß reißt mich aus meinem tranceartigen Zustand. »Autsch«, entfährt es mir, eilig füge ich »Entschuldigung« hinzu. Eine junge Stimme hinter mir murmelt ebenfalls eine Entschuldigung, ich drehe mich um und traue meinen Augen kaum. Rose erkennt mich im selben Augenblick.
»Tessa, du hier, das ist ja ein Zufall! Ein glücklicher Zufall«, freut sie sich, ein breites Lächeln bringt ihre großen, zweifarbigen Augen zum Strahlen. Sie sieht gesund und glücklich aus. Lange, kastanienbraune Haare umschmeicheln ihr Gesicht. Entweder trägt sie eine sehr gute Perücke oder sie hat eine Echthaartransplantation bekommen, überlege ich und bringe vor Erstaunen keinen Ton heraus. Diese Rose hat nichts gemein mit dem verängstigten, blassen Mädchen, das ich im MediCenter kennengelernt habe und das fest davon überzeugt war, belogen und betrogen worden zu sein.
»Rose?«, frage ich ungläubig und sie nickt übertrieben begeistert.
Trotz der spontanen Abneigung gegen Rose, die ich bei unsererersten Begegnung unerklärlicherweise
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