Frozen Time (German Edition)
Frau denke.
»Meinst du, sie könnte meine Mentorin gewesen sein?«, frage ich Milo.
Es ist Abend und wir sitzen uns gegenüber auf unseren weichen Matratzen. Die Vorhänge, die die Schlafkabinen voneinander trennen, sind zugezogen, eine einzelne Deckenlampe spendet schwaches Licht. Gleichmäßiges Atmen und leises Schnarchen dringen durch die dünnen Stoffe aus den anderen Kabinen zuuns. Wir müssen flüstern, um die anderen nicht zu wecken, aber wir können beide noch nicht schlafen.
Der Tag hat mich durcheinandergewirbelt, und ich bin mir nicht sicher, ob er uns weitergebracht hat. Und ich weiß auch nicht, was mich mehr verwirrt: das Aufflackern einer Erinnerung an eine Frau, von der ich nicht begreife, wie sie in mein Leben passen soll, oder die Begegnung mit Rose, die mir so verändert erschien, dass mir immer noch graut bei der Vorstellung, was die Medis mit ihr gemacht haben.
»Ich kann mich einfach nicht erinnern.« Ich höre die Enttäuschung in meiner eigenen Stimme. Milo muss sie auch hören.
»Ich habe noch eine Idee.« Obwohl Milo flüstert, klingt er aufgeregt, sogar ein bisschen nervös. Er rutscht auf der Matratze hin und her, schlägt die Beine unter und betrachtet mich unschlüssig, ob er mir seinen Vorschlag unterbreiten soll.
»Was denn?«, frage ich ohne große Hoffnung. Was könnten wir noch versuchen, um mein Erinnerungsvermögen anzuregen, nachdem es mit Medikamenten und speziellem Memo-Training nicht funktioniert hat? Noch immer zögert Milo.
»Schlimmer als freies Assoziieren kann es kaum werden«, versuche ich einen Scherz, doch Milo lächelt nicht einmal.
»Na ja, wie man es nimmt«, sagt er. »Es ist eine alte Methode, über die ich etwas gelesen habe, als ich mich auf meine Aufgabe als Memo-Trainer vorbereitet habe. Die Methode wurde in den Zeiten vor der Großen Epidemie gelegentlich bei Patienten mit Amnesie angewendet, ihre Wirkung war aber bereits damals umstritten. Es hat Forschungen gegeben, um die Methode zu optimieren, aber sie scheint unzuverlässig zu bleiben, deshalb wird sie mittlerweile nicht mehr durchgeführt.«
»Was soll das für eine Methode sein?«, hake ich nach. Inzwischen bin ich neugierig geworden.
»Hypnose«, sagt Milo und zuckt beinahe entschuldigend mit den Schultern.
Ich kann es nicht verhindern, ich muss lachen. »Hypnose? Wie kommst du denn jetzt darauf?«, frage ich und wundere mich nicht einmal darüber, dass ich diese Behandlungsmethode überhaupt kenne.
»Ehrlich gesagt fiel es mir ein, als ich heute das große Uhrenpendel am FreizeitCenter gesehen habe. Ich dachte, auch wenn diese Methode mehr als umstritten ist, könnte sie dir vielleicht helfen.«
Ich zwinge mich, nicht mehr zu lachen, um Milo nicht zu beleidigen. Ich bin ihm in diesem Moment so dankbar, dass er mich noch nicht aufgegeben hat und noch immer fest daran glaubt, dass ich meine Erinnerungen wiederfinden werde. Deshalb bin ich sogar bereit, mit ihm dieses mehr als fragwürdige Experiment zu wagen.
»In Ordnung«, sage ich und sehe Überraschung über Milos Gesicht huschen. »Aber wie willst du eine Hypnose machen, wenn du es nie gelernt hast?«
»Na, so schwer kann das eigentlich nicht sein«, erwidert Milo und streicht sich schwungvoll die Haarsträhnen aus der Stirn. Er ist wieder ganz er selbst, überzeugt von seinen Fähigkeiten, die Unsicherheit über seinen eigenen Vorschlag ist verflogen. »Wir bräuchten nur ein Pendel oder so was Ähnliches.«
»Das könnte schwierig werden.« Ich bemühe mich um Ernsthaftigkeit und strecke Milo meine leeren Hände hin, um ihm zu bedeuten, dass ich leider kein Pendel zur Verfügung stellenkann. Doch einmal gefasst, lässt er sich von seinem Entschluss nicht mehr abbringen.
»Angeblich geht es auch mit dem bloßen Finger«, sagt er und streckt den Zeigefinger der rechten Hand gerade vor sich in die Höhe. »Gut, konzentriere dich jetzt auf meinen Finger, folge meinen Bewegungen nur mit den Augen.« Er beginnt, langsam mit der Hand von einer Seite zur anderen zu gleiten, immer hin und her, den Finger wie ein Ausrufezeichen gestreckt.
Ich beschließe, ihm den Gefallen zu tun. Ich will Milo nicht brüskieren. Und vielleicht, gestehe ich mir ein, habe ich doch einen Funken Hoffnung, dass dieses verrückte Experiment erfolgreich sein könnte. Meine Augen heften sich an den Finger, folgen dem gleichmäßigen Hin und Her, und ich höre Milos Stimme: »Du wirst müde, ganz müde.«
Tatsächlich werde ich ganz plötzlich müde, spüre
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