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Frucht der Sünde

Frucht der Sünde

Titel: Frucht der Sünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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vermitteln, die Ihnen in Ihrer Gemeinde anvertraut sind?»
    War das eine Frage? Oh Gott, jetzt war sie dran.
Ich, Merrily Rose Watkins, bestätige dies und erkläre meinen Glauben

    Der Bischof wartete. Die hellen rötlichen Strahlen der Abendsonne spielten auf seiner hohen Stirn und dem Apfel, den Eva auf dem großen, westlichen Bleiglasfenster in der Hand hielt, das schon auf ungezählten Postkarten abgebildet worden war. Eine Gemeinde von mehr als hundert Männern, Frauen und Kindern wartete darauf, dass ihre neue Pfarrerin zu ihr sprach.
    Merrily hob ihr Gesicht den Lichtstrahlen entgegen. Der leuchtende Sonnenuntergang ließ die Sandsteinmauern röter wirken, als sie sie je gesehen hatte. Es war das Rot arteriellen Blutes. Des Höllenfeuers. Und das Rot der Roten Pharisäer, der traditionellen Cider-Äpfel von Ledwardine, dem Dorf im Apfelgarten.
    Sie warteten   …, die Gemeinde   …, der Bischof   … und Gott.
    Merrily erschauerte, als sich für einen wilden, lodernden Moment die Kirchenmauern einander entgegenzukrümmen schienen, die Bänke gebogen, die Gemeindemitglieder in eine Masse roten Fruchtfleisches hineinschmelzend. Die Kirche verwandelte sich in einen Apfel, den sie in der Hand hielt, und der Kirchturm bildete den steifen Stiel, und in ihrem Kopf begann es zu rauschen, und sie taumelte und wusste nicht mehr, wo sie war.
    … ein säuerlicher Geruch. Atemzüge auf ihrem Gesicht.
    «Merrily?»
    Der Bischof beugte sich über sie, beunruhigt über ihr Schweigen. Er war eine sehr präsente, pragmatische Existenz, der Bischof, eine Art Vorstandsvorsitzender. Sie selbst fühlte sich ganz leicht, als ob sie in ihrem weißen Chorhemd ihre Arme heben und davonfliegen könnte, wie eine Fledermaus zwischen den Spinnweben der eichenen Dachsparren.
    Jemand hustete. Sie sah die Gemeinde vor sich sitzen. Caroline Cassidy in ihrem hellblauen Jerseykostüm, daneben Terrence, dessen Stirn die Sonne glänzen ließ. Am anderen Ende der Bank saßen Richard Coffey und Stefan Alder. Stefans Augen glitzerten. Es kam Merrily vor, als laufe in seinen Gedanken gerade eine erotische Wil-Williams-Szene ab. Er ging mit Sicherheit davon aus, dass die Pfarrerin auf seiner Seite war.
    Aber einer Frau sollte man vielleicht lieber nicht trauen. Er würde später beim Empfang sein, mit seinem Glas Engelswein in der Hand. Wie sollte sie ihm gegenübertreten? Was sollte sie ihm sagen?
    Ich, Merrily   …
    Los, mach schon. Sie hatte alle Antworten auswendig gelernt, sie wieder und wieder geübt, doch nun fielen ihr die Worte nicht mehr ein, und einem Teil von ihr war das vollkommen gleich, denn sie würden, oh Gott, sie würden nicht von Herzen kommen.
    Warum nicht? Und spielte das überhaupt eine Rolle?
    Sie hörte Geflüster in der Gemeinde. Langsam war nicht mehr zu übersehen, dass etwas nicht stimmte. Und zwar sie. Mit ihr stimmte etwas nicht. Mit Hochwürden Merrily Rose Watkins. Sie war ein einziger Fehler. Und dieser schreckliche Fehler wurde nun allen bewusst. Da entdeckte Merrily Jane. Sie saß ganz hinten am Ende einer Bank und klammerte sich an die Ablage für die Gesangbücher. Die Knöchel ihrer Finger waren weiß. Merrily spürte die Spannung in diesem Griff bis zum Altar.
    Und noch eine andere Spannung ergriff Besitz von Merrily.Ihre Haut begann zu kribbeln und zu brennen, und dann bekam sie kaum noch Luft, als habe sie jemand von hinten umschlungen und drücke ihr den Brustkorb zusammen. Sie dachte an Child, ihr wurde schlecht, sie fuhr zurück, und alle Luft entwich aus ihren Lungen.
    Sie sah Bull-Davies, der in seiner Familienbank saß, den Arm locker auf die Rückenlehne gelegt. Er wirkte vollkommen entspannt. Priester kamen und Priester gingen, doch auf dem Felsen, auf dem diese Kirche erbaut worden war, stand in großen Lettern
Bull
eingemeißelt.
    Jane war inzwischen halb aufgestanden.
    Ich, Merrily   …
    Doch sie konnte sich nicht bewegen und bekam kein Wort heraus. Ihre Brust war so steif wie ein Holzbrett.
    Von Bank zu Bank verbreitete sich die grässliche Erkenntnis.
Die Pfarrerin schafft’s nicht!
    Merrily sah Eva in dem Fenster. Sie streckte ihr einen Apfel entgegen. Einen Roten Pharisäer.
    Nein.
    Versuch’s. Versuch zu sprechen. Ganz langsam einatmen. Ausatmen.
Ich
,   …
    «Ich   … Merrily Rose Watkins, bestätige dies und   …»
    Der Atem blieb ihr im Hals stecken. Ihre paar Worte verhallten in einer leeren Kirche.
    Mit einem Mal war der Druck von ihrer Brust verschwunden. Sie

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