Frucht der Sünde
doch früher der Kirche gehört. Der Apfel ist runtergefallen und mir direkt vor die Füße gerollt. Vor
meine
Füße. Noch deutlicher wäre es nur gewesen, wenn ein riesiger Zeigefinger vom Himmel herab auf mich gedeutet hätte.»
«Diese blöde Lucy Devenish!»
«Nein! Ihr blöden Christen!», sagte Jane wild. «Ihr glaubt an jeden Mist, der in eurer Bibel steht. Alles andere …» Sie setzte sich Lol gegenüber an den Tisch. «Ich weiß auch nicht. Ich weiß nicht, ob sie tot ist oder nicht. Aber jemand ist tot. Solche Zeichen haben einen Grund.»
Lol fragte: «Was war denn mit Colette?»
Merrily setzte sich ebenfalls. Sie wirkten wie eine verkorkste, dysfunktionale Familie in einer passend trübseligen, zugigen Küche. Merrily erzählte ihnen alles, was am Morgen passiert war. Nur nicht, dass sie Alison getroffen hatte. Und von dem Zettel mit der Ankündigung der schwarzen Messe sagte sie auch nichts.
«Könnte sie nicht einfach mit einem Typ abgezogen sein?»
«Vielleicht», sagte Jane niedergeschlagen. «Ich hatte den Eindruck, dass sie Lust darauf hatte, mit jemandem zu schlafen. Allerdings scheint der Reiz ein bisschen weg gewesen zu sein, weil sie ja gerade sechzehn geworden war und es jetzt ganz legal tun kann.»
«Du meinst, sie könnte in den Apfelgarten gegangen sein, um mit jemandem zu schlafen? Gab es jemand Bestimmten?»
«So wie sie drauf war, hätte es mit Ausnahme von Dean Wall jeder sein können. Und der Apfelgarten hat ihr vielleicht gefallen, weil er … irgendwie tabu ist. Colette bricht nämlich unheimlich gerne Tabus.»
«Tabu? Wegen Edgar Powells Selbstmord?»
«Zum Teil. Und weil einem im Apfelgarten seltsame Dinge passieren können, aber ihr ist so etwas nie passiert. Und …»
«Warte mal», sagte Merrily. «Einem passieren seltsame Dinge im Apfelgarten? Was für Dinge? Und wer?»
«Wem», sagte Jane.
«Übertreib’s nicht, Schatz. Früher oder später müssen wir uns nämlich noch über dein Wohnzimmer unterhalten. Außerdem habe ich praktisch nicht geschlafen. Abgesehen von ein paar anderen Sachen.
Was für Dinge
?»
Jane starrte auf den Tisch. Da hörten sie ein energisches Klopfen an der Haustür.
«Oh», Merrily rang sich ein Lächeln ab. «Ich habe Sie nicht so schnell erwartet.»
«Ich habe etwas Neues erfahren.» Annie Howe trug einen leichten weißen Regenmantel über ihrem dunklen Anzug. «Und dadurch ist Jane an die Spitze unserer Liste gerückt.»
«Ach ja?» Merrily hielt ihr die Tür auf und versuchte, nicht darüber nachzudenken, was das für eine Neuigkeit sein mochte. Detective Mumford folgte seiner Chefin in die Eingangshalle.
Merrily drückte die Tür hinter ihnen ins Schloss. «Mmh … bevor sie mit Jane sprechen …»
Howe sah sie ungeduldig an. Polizisten schienen immer zu denken, dass nur sie Fragen stellen durften.
«Wie ernst nimmt die Polizei diese Sache? Ich meine, Colette ist … wie soll ich es ausdrücken?»
«Ein bisschen leichtfertig», sagte Mumford. «Das wissen wir.»
«Jedenfalls», ergänzte Howe, «scheint es das zu sein, was sie die Leute gerne glauben ließ. Die Zeiten ändern sich, nicht wahr, Mrs. Watkins?»
«Nein», sagte Merrily, «eigentlich nicht.»
Howe lächelte. Wie ein Gletscher, dachte Merrily.
«Sie haben gefragt, wie ernst wir diese Sache nehmen. In Anbetracht der Umstände nehmen wir sie ernster, als wenn sie nur ungefragt auswärts übernachtet hätte. Davon können Sie ausgehen.»
«Ja. Sicher.»
Sie betrachtete Annie Howe und staunte, wie klar und zielstrebig sie sich gab. Merrily fühlte sich zugleich viel älter und viel jünger als sie. Und sie fühlte sich angreifbar.
«Wir werden Sie unterstützen, so gut wir können», sagte sie.
Die beiden folgten Merrily in die Küche. Jane spülte ab. Lol war verschwunden. Offenbar wollte Jane vermeiden, dass die drei Tassen auf dem Tisch Howe etwas von ihrem Gast verrieten. Sie hatte sogar den dritten Stuhl an den Tisch geschoben. Irgendetwas mussten Jane und Lol vor ihr verbergen.
Merrily stellte Jane vor und sagte: «Ich würde gerne im Raum bleiben, wenn es Sie nicht stört.»
«Es ist sogar wichtig, dass Sie bleiben, Mrs. Watkins.»
«Merrily», sagte sie, «ich heiße Merrily.»
Howe sagte nicht, dass sie Annie hieß. Was habe ich erwartet?, fragte sich Merrily. Die sofortige Busenfreundschaft zweier Frauen, die in Männerberufen arbeiteten?
«Tee? Kaffee?»
«Danke sehr, Mrs. Watkins, aber wir hatten von beidem schon
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