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Frucht der Sünde

Frucht der Sünde

Titel: Frucht der Sünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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plante seinen Selbstmord mit all der Umsicht, an der es ihm in seinem bisherigen Leben gefehlt hatte.
    Er zog die Vorhänge vor die kleinen, bleiverglasten Fenster, die auf die Straße und den Apfelgarten hinausgingen. Die Vorhänge waren dünn und billig, aber sie hielten das helle Morgenlicht ab. Außerdem würde Alison so seine Leiche nicht durchs Fenster sehen können.
    Lol legte sein drittes, schon reichlich angekratztes Exemplar von Nick Drakes Debütalbum
Five Leaves Left
auf den Plattenteller. Er wollte die schwimmenden Arrangements und die zarte, geisterhafte Stimme eines Mannes hören, dem nur noch fünf Jahre zu leben blieben. Sein gesamtes Erwachsenendasein hindurch hatte sich Lol mit Nick Drake identifiziert, auch wenn Nick erfolgreicher und angesehener und seit 1974 tot war.
    Zischend fuhr die Nadel in die Rille und ‹Time Has Told Me› schwebte, begleitet von Richard Thompsons Gitarrenklängen, durch den Raum. Lol ging vor die Tür, um nach der Milch zu schauen. Seit es morgens wieder freundlicher war, kam auch der Milchmann früher, und die Flasche stand schon auf der Treppe.
    O.   k. Er ging zurück ins Haus, holte eine weitere Flasche aus dem Kühlschrank – von gestern, ungeöffnet – und stellte sie neben die neue. Dann drückte er die Tür ins Schloss und kniete sichim Wohnzimmer auf den Boden, um Ethel, die ihn aus grüngoldenen Augen unbewegt ansah, alles zu erklären.
    «Ich muss dich einschließen. Aber es wird nicht lange dauern. Ich will nicht, dass du um mich herumstreichst, o.   k. ?»
    Ethel wirkte nicht überzeugt und leckte sich die Pfote. Genau genommen war sie eine Streunerkatze, vielleicht war sie ausgesetzt worden. Mitte Januar hatte er zwei Nächte lang ein erbärmliches Miauen gehört und schließlich ein zerzaustes Fellbündel in der Hecke gefunden, das etwa so lang war wie seine Hand und kaum dicker als ein Gartenschlauch. Anfänglich war Alison nicht gerade begeistert gewesen und hatte auf diese knallharte Art argumentiert, von der er gehofft hatte, dass sie mit dem friedlichen Landleben verschwände. Doch an dem Morgen, an dem sie gegangen war, hatte sie gesagt, sie freue sich, dass Lol Ethel hätte. Ein Wesen, für das er sich verantwortlich fühlen konnte.
    Lol ging in die Küche. Er vermied es, den Toaster zu benutzen. Der Geruch nach frisch geröstetem Toast machte ihn immer schwach. Es wäre schwer, bei dem Geruch nach frischem Toast zu sterben. Auch das Radio stellte er nicht an, ebenso wenig wie er das Feuer im Holzofen anzündete. Stattdessen setzte er sich an den Tisch und starrte die Pflaumenmarmelade vom Hausfrauenverein an. Dann zog er das Gummi und den Papierdeckel ab und atmete den süßen Geruch ein.
    «Du hättest es mir sagen müssen», sagte er zu der Marmelade.
    Was bedeutete, er hätte es bemerken müssen. Dies war das letzte der drei Marmeladengläser, die Alison vom Hausfrauenverein mitgebracht hatte. Am Tag, nachdem sie es mitgebracht hatte, hatte sie es ihm gesagt, und er war hier an diesem Tisch in Tränen ausgebrochen, so sehr hatte es ihn getroffen.
    Er war schon immer ziemlich naiv gewesen. Als Kind. Als Songschreiber. Aber Naivität war etwas, aus dem man herauswachsen sollte, so wie aus der Pickelphase.
    Lol hatte es in Ordnung gefunden, dass sich Alison mit den ganzen Bauersfrauen im Hausfrauenverein traf. Na gut, es war ein bisschen merkwürdig gewesen, aber auch irgendwie nett und anheimelnd. Es bewies, dass ihr Umzug hierher ein Erfolg geworden war, und auch Lol wollte irgendwie Teil der Gemeinde werden, die Kirchenglocken läuten oder so. Hühner halten, Tomaten für die Chutney-Sauce anpflanzen, deren Zubereitung Alison lernen würde   … im Hausfrauenverein.
    Bin nur mal eben im Hausfrauenverein.
Es hatte eine Weile gedauert, bevor ihm klar geworden war, dass sie immer, wenn sie gesagt hatte, sie sei nur mal eben im Hausfrauenverein, und ein paar Stunden später mit einem Glas Marmelade zurückkam, in Wahrheit bei James Bull-Davies in dem großen Bett in dem großen Gutshaus namens Upper Hall gewesen war.
    Wie hatte es angefangen? Er wusste es nicht. Alle anderen im Dorf schienen es dagegen ganz genau zu wissen – eine neue Frau im Leben des Gutsherrn von Upper Hall, da lohnten sich Klatsch und Tratsch mal so richtig. Doch niemand hatte Lol etwas erzählt. Er war fremd im Dorf. Lucy Devenish hätte ihn vielleicht eingeweiht, aber die hatte er zu dieser Zeit noch nicht gekannt.
    Lol ließ seine Stirn auf den krümeligen Tisch

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