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Frucht der Sünde

Frucht der Sünde

Titel: Frucht der Sünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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anderen, das nicht klappt, und es ist wie   … Ist es wirklich eine Krankheit, oder ist es was anderes? Alison meinte, es würde mir guttun, hier rauszuziehen. Die gute Landluft und so. Nur Lucy hat gesehen, dass es Probleme geben könnte. Jeder Ort hat seine eigenen unerklärlichen Phänomene. Ganz gleich, wo ich bin, ich komme damit in Berührung. Hier habe ich Nicks Song ‹Fruit Tree› wiedergehört. Darin sagt er ziemlich klar, dass man im Leben sowieso nichts schafft. Manchmal hatte ich sogar das Gefühl, dass Nick und Robert Johnson und dieser andere Typ da draußen im Apfelgarten waren. Ergibt das einen Sinn? Nein, verdammt.»
    «Doch, tut es. Wenn Sie möchten, erzähle ich Ihnen, was mich dazu gebracht hat. Geistliche zu werden, meine ich.»
    Sie nahm ihren Priesterkragen ab und legte ihn auf den Tisch, sodass der Aschenbecher mit der glimmenden Zigarette mitten im Halsausschnitt stand.
    Damals. Als ihr alles klar wurde. Sean war wegen einiger Termine ein paar Tage in London, und am zweiten Tag war ein sehr verunsicherter Angestellter aus Seans Kanzlei bei ihr aufgetaucht, mitsamt einer Aktentasche voll kompromittierender Dokumente.
    Am dritten Tag hatte sie sich mit rasenden Kopfschmerzen in den Volvo gesetzt, der genau wie alles andere von Schwarzgeld gekauft worden war, und fuhr ziellos über Land. Irgendwann kam sie bei einer Kirche an, die nach einem obskuren keltischen Heiligen benannt war. Den Kirchturm sah man schon Meilen vorher, doch die Kirche war winzig und nur über einen Fußpfad zu erreichen. Wie sollte sie in Worte fassen, was in dieser kleinen, kahlen Kirche passiert war? Was in ihr selbst passiert war?
    «Ich hatte einige Zeit vorher angefangen, bei uns in der Gemeinde auszuhelfen. Sean meinte immer nur, der Pfarrer wäre doch ein guter Typ und würde sein Leben verschwenden mit diesemJob, für den er höchstens zehntausend Pfund im Jahr bekäme. Sean maß jeden an seinem Einkommen.
Der Typ verdient vierzig Riesen im Jahr
oder was auch immer. Also war der Pfarrer mit seinen zehntausend jährlich und seinen neunzehn Figuren im Gottesdienst logischerweise ein Loser.»
    Merrily betrachtete die dünne Rauchsäule, die aus der Mitte des weißen Kragens aufstieg.
    «Und es war komisch – in dieser Kirche ging mir auf, dass neunzehn Leute eine Menge Leben waren. Das war, als ich das Blau und das Gold gesehen habe.»
    Aha. Das Blau und das Gold. Eine Vision?
Achtung
– Dr.   David Campbell würde warnend einen Finger heben   –,
Sie sind dabei, die Demarkationslinie zu überschreiten.
    Jetzt kommen Sie schon, David, darf ich keine mystische Erfahrung machen, solange ich nicht zu viel darüber rede? Das Gefühl einer allumfassenden Nächstenliebe, einen ehrfuchtgebietenden Augenblick kosmischen Bewusstseins, die Auflösung des Ichs in einer beglückenden Ungeheuerlichkeit von Blau und Gold?
    «Na ja, was immer es auch war», schloss sie mit leicht verzweifeltem Zynismus, «die Kopfschmerzen bin ich jedenfalls losgeworden.»
    «Haben Sie das noch einmal erlebt?»
    «Eine Ahnung davon. Das Wesentliche. Jedes Mal, wenn ich mich zum Beten hinkniete, war es da, wie ein immenser Hintergrund. Wie ein samtiges Tuch aus dunklem Blau und Gold, in das ich mich hüllen konnte, um mich sicher zu fühlen. Dadurch habe ich überhaupt nur durchgehalten.»
    «Und ist es immer noch da?»
    «Nein», sagte Merrily. «Es ist nicht mehr da. Ich weiß nicht genau, seit wann ich es nicht mehr sehe. Die letzten paar Wochen kommen mir wie zehn Jahre vor.»
    «Gehen Sie ab und zu noch in diese kleine Kirche?»
    «Ich traue mich nicht», sagte sie offen. «Könnte ja sein, dass ich sie nur noch als tristes leeres Gebäude empfinde. Echt, Lol, Sie machen hier so einiges mit. Und jetzt noch eine richtiggehende Glaubenskrise.»
    Sie nahm die Zigarette aus dem Aschenbecher – aus dem Priesterkragen.
    «Das Ganze ist paradox. Ich habe nämlich geglaubt, dass mich irgendeine Bestimmung an diesen Ort geführt hat. Ist es Ihnen vielleicht genauso gegangen, als Sie hierherkamen?»
    «Nein. Nur Alison. Sie wollte unbedingt nach Ledwardine, ich war bloß der Mann, der es sich leisten konnte, eine Hypothek aufzunehmen. Es ist nett hier, aber ich hatte kein schicksalhaftes Gefühl, als ich herkam.»
    «Ich schon. Und jetzt ist mein schönes Luftschloss schon nach den ersten paar Wochen einsturzgefährdet. Ich weiß nicht, woran es liegt. Habe ich etwas Falsches getan oder irgendetwas nicht getan, das ich hätte tun sollen?

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