Frucht der Sünde
…»
«Aber warum dort? Warum unter diesem Baum?»
«Ich weiß nicht. Colette …»
«Colette, Colette, Colette!» Er schlug mit der Faust aufs Steuer. «Die kleine Nutte!
Du willst mich, oder? Du willst mich doch, Lloydie?
Diese Schlampe. Mit ihrem Piercing und ihrem Ausschnitt, damit auch jeder gafft. So was lernt man also auf der Cathedral School?»
Jane sagte: «Ich glaube, mir wird schlecht.»
«So.» Lloyd drückte seine Tür auf. Eine Sekunde später öffnete er die Beifahrertür von außen.
Sie wollte nicht aussteigen. Sie überlegte, ob sie auf den Fahrersitz rutschen und irgendwie losfahren konnte. Doch Lloyd packte sie so fest am Ellbogen, dass sie vor Schmerz aufschrie.
«Raus.»
Draußen sah sie ein paar niedrige Gebäude. Eine Scheune und mehrere Schuppen. Nirgends brannte Licht. Es roch nach Bauernhof.
«Also los, mach schon, Jane.»
Aber sie konnte sich nicht übergeben. Nicht vor ihm. Nicht auf Befehl, wie eine Gefangene.
Ich bin eine Gefangene.
«Ich denke, du musst kotzen.»
«Es ist wieder vorbei.» Sie suchte nach einer Möglichkeit wegzulaufen, aber sie standen in einer Art Einfriedung. Rundherum verlief ein Zaun, der oben mit Stacheldraht gesichert war.
«Du kommst jetzt hier nicht weg, Jane. Denk nicht mal dran. Und versuch mir nicht zu erzählen, du verstehst nicht, worum es geht. Ich kann’s dir ja erzählen, dann verstehst du’s garantiert. Ist schließlich nur fair. Lucy Devenish ist nämlich zu Vater gegangen, wollte mit ihm über Colonel Bull-Davies und seinen alten Herrn reden, hat gedacht, Vater könnte ihr helfen, ein paar Punkte klarzukriegen.»
«Das hat doch nichts mit mir zu tun», sagte Jane hoffnungslos. «Ehrlich, kannst du nicht …»
«Nein, verdammt, kann ich nicht! Hab ein zu weiches Herz, das ist mein Problem. Ich hab sogar Mitleid, aber ich lass dich trotzdem nicht weg. Das kleine flauschige Lämmchen muss trotzdem umgebracht werden, die alte Sau wird trotzdem an ihren Haxen aufgehängt, so geht’s eben zu auf der Welt. Und manchmal tut’seinem nicht mal leid, wie beim Fuchs. Wenn der Fuchs anfängt zu räubern, muss er eben weg. Und zwar schnell.
Peng
.»
Lloyd klatschte seine großen Hände zusammen.
«Und genauso war’s mit Lucy Devenish. War ’ne saubere Sache.»
«Nein!» Jane hielt sich die Ohren zu. «Ich will das nicht wissen!»
«Vater hat den Pick-up gefahren, ist knapp vor dem Schrottmoped entlanggegondelt, dann hab ich das Schaf aus dem Laderaum auf die Straße fallen lassen und …
rumms
. War ruck, zuck vorbei. Hat nichts mitgekriegt. Die alte Seele ist abgeschwirrt wie ’ne Eule vom Ast. Würd mich nicht wundern, wenn sie tot war, bevor sie auf der Straße lag. Das Herz ist nicht mehr so kräftig in dem Alter. Eine saubere Sache, anders kann man’s nicht sagen.»
«Eine saubere Sache? Du bist ja komplett verrückt!»
«Sie hat bestimmt nicht gelitten», sagte Lloyd besänftigend. «Wir haben ihren Kopf sicherheitshalber nochmal auf die Straße geknallt. Wir sind nämlich sehr human, verstehst du, wenn es sein muss. Die alte Lucy war schon immer eine Nervensäge, da gibt’s keine Diskussion, mit ihrem ganzen Elfenquatsch, aber als sie zu Vater gekommen ist mit Sachen, die sie überhaupt nichts angehen, da hat sie ihn richtig zur Weißglut gebracht. Trotzdem», er zuckte mit den Schultern, «war sie eine von uns. Und deshalb, wenn sie im Weg ist, wenn sie verschwinden muss, machen wir’s auf die humane Art.»
Er nickte und klatschte die offene Hand auf den Pick-up. Aus seinen klaren Gesichtszügen sprach der Stolz auf eine bestens erledigte Aufgabe. Dann straffte er sich, stemmte die Hände in die Seiten und betrachtete Jane.
«Und dann kommst du», sagte er.
«Ich schätze, ich bin auch im Weg.»
Einen Moment lang war Jane selbst darüber erstaunt, wie ruhigihre Stimme klang, jetzt, da es nichts mehr brachte, sich zu verstellen, jetzt, wo sie nicht mehr weglaufen konnte und niemand ihre Schreie hören würde. Sie sah zu dem rosa Mond hinauf, und ihr ging durch den Kopf, dass sie den Mond vielleicht gerade zum letzten Mal im Leben sah. Sie war panisch, aber gleichzeitig nahm sie alles wie durch einen Schleier wahr. Hazey Jane, dieses Mädchen von Nick Drakes Album. Hatte sich diese Jane so gefühlt wie sie jetzt? Aber vor allem kam ihr die Situation so unwirklich vor, sie konnte einfach nicht fassen, dass es so jemanden wie Lloyd heutzutage überhaupt noch gab.
«Ich weiß einfach nicht», sagte Lloyd, «was
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