Frucht der Sünde
Terrence.»
Mom legte Messer und Gabel ordentlich nebeneinander auf ihren halbvollen Teller. Mal wieder ein Essen in der Mitte abgebrochen. Um Mom konnte man sich manchmal richtig Sorgen machen. Sie wurde schließlich nicht jünger. Sie war aus dem Alter raus, in dem man essen sollte wie ein Topmodel.
«Phantastisch.» Cassidy schob sich zwischen den Gästen des Pubs hindurch und hielt dabei sein Weinglas hoch, als handele es sich um einen Abendmahlskelch.
Jane grinste.
«Seit wann kennst du dich denn so gut mit diesem Wil Williams aus?»
Mom warf ihre Handtasche aufs Bett.
«Woher zum Teufel soll ich wissen, wer Wil Williams war? Ich hatte viel zu viel zu tun, um mich auch noch mit Heimatkunde zu beschäftigen!»
«Macht doch nichts, du hast noch stundenlang Zeit.»
«Nein, habe ich nicht. Ich muss mich um vier Uhr mit Gomer Parry treffen. Dem Baggerführer. Wenn es ihn und den Gartenverein nicht gäbe, hätte sich der Friedhof schon längst in ein Naturreservat verwandelt.»
«Das ist ja eine tolle Idee.»
«Fang gar nicht erst an!»
Mom ließ sich rücklings aufs Bett fallen und legte den Arm über die Augen. Die Sonne schien durch das Bleiglasfenster und verwandelte sie in ein Gemälde: Die ermattete Heilige.
«Und das ausgerechnet am Samstagnachmittag, an dem sämtliche Bibliotheken in Hereford und Leominster geschlossen haben.»
«Mom, das ist doch lächerlich. Kein Mensch erwartet von dir, dass du über
alles
Bescheid weißt.»
«Doch, das tun sie! Genau das tun sie. Jane, ich bin hier die Pfarramtsvertreterin. Also muss ich meine Hausaufgaben machen. Vielleicht könnte ich … Wie heißt nochmal dieser ältere Mann, der in dem Gemeindeblättchen die ‹Wie es früher einmal war›-Kolumne schreibt?»
«Nein, der nützt dir nichts. Ich habe ihn mal in der Post reden hören. Hinter ihm war eine Riesenschlange, und er konnte sichnicht darüber beruhigen, dass man noch 1938 einen dreiteiligen Anzug für weniger als einen Schilling Porto verschicken konnte. So viel, wie der redet, könntest du von Glück sagen, wenn du überhaupt noch rechtzeitig zu der Versammlung kommst. Aber weißt du was?
Ich
finde heraus, wer Wil Williams war.»
Mom hob den Kopf.
«Und wie?»
«Sieh mich nicht an, als hätte ich noch nie im Leben etwas für dich getan!»
«Ich meine … richtig?»
«Nein, ich denke mir alles aus. Natürlich richtig!
Und
ich halte dich raus. Ich sage, es ist für die Schule.»
«Wohin willst du gehen?»
«Ins Ledwardine Lore.»
«Aber das ist …»
«Miss Devenish.»
Mom setzte sich auf. «Oh nein. Du hast gesagt
richtig
. Dort bekommst du bloß die Version von Miss Devenish, die vielleicht nicht gerade … Und außerdem …»
«Ja?»
Mom stieß einen ihrer tiefen Seufzer aus. Seit dem aufsehenerregenden Powell-Selbstmord hatte sie irgendetwas gegen Miss Devenish. Die alte Dame hatte wegen dieser Wassailing-Geschichte eine Riesenvorstellung hingelegt und behauptet, dabei könne nichts Gutes herauskommen, und … peng … es kam nichts Gutes dabei heraus. Gruselig, was?
Genau.
Jane würde sich nie verzeihen, diese Szene verpasst zu haben. Allerdings war das noch in ihrer Ledwardine-Ablehnungsphase gewesen, und die hatte sie inzwischen hinter sich gelassen.
«Mom, sieh doch mal, es ist der einzige Laden im Dorf, in dem man Bücher über Regionalgeschichte bekommt.
Irgendwann
müssen wir sowieso mal dort rein.»
«Na gut, dann gehst du eben schnell rein und schnappst dir ein Buch.»
«Aber ich weiß nicht, in welchem etwas über Wil Williams steht, oder? Du kannst dich nicht in so einen winzigen Laden stellen und die ganzen Inhaltsverzeichnisse durchlesen. Ich muss sie fragen.»
Jane setzte sich auf die Bettkante und musterte den Gesichtsausdruck ihrer Mutter. Die Leute sagten, sie hätten die gleichen Augen. Tiefgründig und neugierig.
«Jetzt verstehe ich», sagte sie. «Du willst nicht, dass ich dort reingehe, oder? Weil die Leute sagen, sie wäre eine alte Hexe. Die Tochter der Pfarramtsvertreterin soll nicht dabei gesehen werden, wie sie sich mit satanischen Kräften einlässt, stimmt’s?»
«Unsinn. Aber solange wir hier noch nicht mal die Füße unter dem eigenen Tisch haben, sollten wir ein bisschen wie auf Eierschalen gehen. – Das ist wahrscheinlich ein blöder Vergleich.»
«Nein, er trifft es genau. Also. Wie willst du es haben? Soll ich herausfinden, wer Wil Williams war, oder willst du vor Coffey und Cassidy improvisieren? Hey, glaubst du,
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