Frucht der Sünde
dir eine Ohrfeige!»
Er wich einen Schritt zurück und hob beide Hände. «Ich habe keine genommen. Keine Pillen. In Ordnung?»
«Und die Milch? Und die Vorhänge?»
«Verstehen Sie, ich habe die ganze Nacht wachgelegen. Ich habe nachgedacht. Ich wollte kein Feigling mehr sein, mit ihr reden. Und das … das ist nicht leicht. Ich kann sie nicht einfach auf der Straße ansprechen, dazu bin ich noch nicht in der Verfassung.»
«Und warum kannst du sie nicht einfach anrufen?»
«Weil entweder er ans Telefon geht und ich auflege oder sie ans Telefon geht und selbst auflegt. Sie will nicht mit mir reden. Aber sie will trotzdem sicher sein, dass es mir gutgeht, dass ich keine Riesendummheit begangen habe. Und was sie eigentlich will, ist, dass ich hier ausziehe. Vermutlich wartet sie auf den Tag, an dem sie das Zu-verkaufen-Schild im Vorgarten sieht, aber bis dahin reitet sie fast jeden Morgen hier vorbei, um festzustellen, ob ich dasHaus nicht angezündet oder mir in der Badewanne die Pulsadern aufgeschnitten habe.»
«Wie fürsorglich», sagte Lucy.
«Ich finde das … beruhigend.»
«Dass sie sich Sorgen macht, sie könnte dich in den Selbstmord getrieben haben? Ach so …» Lucy nahm ihren Hut ab und warf ihn auf den Sessel. «Langsam verstehe ich. Du bist wirklich ein ziemlich kranker Typ, Laurence, findest du nicht?»
Er antwortete nicht.
«Das war alles nur dummes Theater. Du wolltest sie glauben lassen, dass du es getan hast. Du hast die Milch draußen stehenlassen, die Vorhänge zugezogen und Trauermusik aufgelegt. Und dann? Sie sieht, dass du noch lebst, und fällt dir um den Hals, oder was?»
«Ich wollte nur mit ihr reden», sagte Lol. «Endlich mit ihr reden. Ich habe ja versucht, sie hereinzurufen. Aber sie ist nicht mal abgestiegen. Sie ist mit dem Pferd einfach umgedreht und weggeritten. Ich bin ihr nachgelaufen. Sie …»
«Pah!», sagte Lucy. Sie war der einzige Mensch, von dem er das jemals wirklich gehört hatte. «Wenn ein Selbstmordversuch ein Ruf um Hilfe ist, Laurence, dann war das hier höchstens ein leises Fiepen.»
«Mmmh.» Er nickte kläglich.
«Laurence!» Lucy hielt seinen Blick mit ihren Augen fest, als wollte sie ihn hypnotisieren. «Du hast dich auch noch von mir beschimpfen lassen! Du kannst dich nicht mal gegen eine alte Frau wehren, die sich ungefragt in deine Angelegenheiten einmischt. Das geht doch nicht, Laurence, oder?»
«Nein», sagte er demütig, und Lucy warf entnervt ihre Arme hoch.
«AAAHH! Was geht oder nicht, bestimmst du selbst, du Clown! Es ist
dein
Leben. Diesen Krankenhauspsychofritzen würdeich was erzählen. Zuerst knallen sie euch bis oben mit Drogen voll, und wenn ihr dann so richtige Zombies geworden seid, schicken sie euch wieder raus.»
«Ehrlich gesagt, war ich schon ein bisschen so, bevor ich reingegangen bin.»
Lucy schüttelte den Kopf. «Los», sagte sie, «spritz dir ein bisschen Wasser ins Gesicht, und dann gehen wir.»
Durch das Fenster sah er vor seinem schlammverdreckten Astra ihr Moped in der Einfahrt stehen.
«Ist gut.»
Sie ließ ihn das Moped die Blackberry Lane hinunter über den Marktplatz und zu den umgebauten Stallungen schieben, in denen sich auch das Ledwardine Lore befand.
Lucy brauchte jemanden, der gelegentlich nach ihrem Laden sah. Wann sollte sie sonst jemals selbst einkaufen gehen? Früher war an zwei Nachmittagen die Woche eine junge Frau gekommen, aber dann hatte sie ein Kind bekommen und war weggezogen.
«Es stehen überall die Preise dran», erklärte Lucy, während sie aufschloss. «Und falls mal einer fehlt, dann erfindest du eben einen.»
Sie tat das, um ihn aus dem Haus zu holen. Er hasste es, allein im Dorf unterwegs zu sein. Die Leute in den Geschäften warfen ihm immer noch komische Blicke zu. Das taten sie schon seit Monaten. Anfänglich hatte er geglaubt, er sähe eben zu sehr nach einem Städter aus. Er hatte sogar überlegt, ob er sich Koteletten wachsen lassen und einen verbeulten Pick-up kaufen sollte. Die ganze Zeit hatte er nicht bemerkt, dass alle Bescheid wussten – nur er nicht.
«Am Samstag kommt sowieso niemand von hier in den Laden», sagte Lucy, die seine Ängste ahnte. «Nur Touristen.»
Er entspannte sich. Lucys winziger, vollgepfropfter Ladengefiel ihm genauso wie das Dorf. Es würde ihm schwerfallen, das Cottage zu verkaufen und wegzuziehen.
«Sie tut dir nicht gut», sagte Lucy. «Der ganz falsche Frauentyp für dich. Nicht, dass sie für
ihn
gut wäre. Aber damit
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