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Frucht der Sünde

Frucht der Sünde

Titel: Frucht der Sünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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James?»
    «Sollte ich das?»
    «Hannah Snell wurde etwa ein Jahrhundert nach Wil Williamsgeboren. Sie machte sich auf den Bühnen Londons einen Namen, und zwar mit Liedern und Berichten über ihr erstaunliches Leben, das begann – ich meine den erstaunlichen Teil   –, als ihr Ehemann, ein holländischer Seemann, von einer Fahrt nicht mehr zurückkehrte. Hannah machte sich auf, um ihn zu suchen. Sie trat in die Armee ein, später in die Marine. So kam sie bis nach Indien. Oft genug musste sie das Bett mit Soldaten teilen, und angeblich musste sie auch einmal ihren Oberkörper entblößen, weil sie zu ein paar Peitschenhieben verurteilt worden war. Während all der Zeit scheint niemand jemals bemerkt zu haben, dass sie eine Frau war.»
    «Das stimmt», rief Jim Prosser. «Das ist eine Tatsache. Und anscheinend war sie auch kein hässliches Mannweib.»
    Merrily sagte: «Und von alldem steht nichts im Tagebuch von Thomas Bull? Sie müssen doch spätestens nach dem Tod von Wil Williams die Wahrheit herausgefunden haben.»
    «Nicht soweit ich gelesen habe», sagte Alison. Sie hatte ihren Platz verlassen und war nach vorn gekommen. Vermutlich wollte sie genau sehen, wie James reagierte. «Es geht mehr um Wil Williams’ Tod an sich als um etwas anderes.»
    James warf ihr einen finsteren Blick zu.
    «Dazu kommen wir gleich», sagte Merrily. «Was ich deutlich machen wollte, war Folgendes: Wenn es Hannah Snell gelungen ist, fünf Jahre lang unerkannt als Frontsoldat zu kämpfen, dann konnte es einer jungen Frau ebenso gut gelingen, an die Universität zu kommen und sich zum Priester weihen zu lassen. Besonders, wenn sie auf die Unterstützung so geachteter Bürger wie Susannah Hopton und Thomas Traherne zählen konnte.»
    Merrily schaltete das Mikrofon ab und beugte sich über die Kanzelbrüstung.
    «Im Grunde wissen wir kaum etwas über Wil Williams, und ich glaube auch nicht, dass wir noch viel mehr in Erfahrung bringen können. Wir gehen davon aus, dass sie sich als Mann ausgegebenhat und in Oxford studierte – möglicherweise gibt es Studentenlisten, das weiß ich nicht. Wir können nur spekulieren. Zum Beispiel darüber, warum der hochangesehene Thomas Traherne, der Herford und das Landleben so sehr liebte, plötzlich nach London ging. Vielleicht war auch er verliebt und wusste wie kein Zweiter, dass diese Liebe zum Scheitern verurteilt war.»
    «Das ist ein sehr überzeugender Gedanke», sagte Mrs.   Goddard. «Er hat nie geheiratet, wissen Sie, und mit siebenunddreißig ist er gestorben.»
    Bull-Davies schnaubte höhnisch. Merrily fragte sich, ob der ebenfalls siebenunddreißigjährige Lol Robinson wusste, dass Traherne in diesem Alter gestorben war. Plötzlich machte sie sich Sorgen um Lol. Und um Jane. Sie musste zusehen, dass sie hier schnell fertig wurde.
    «Aber wie muss das für sie gewesen sein?», sagte Effie Prosser. «Eine Frau in diesem riesigen Pfarrhaus, die vorgab, ein Mann zu sein.»
    Merrily dachte einen Augenblick nach. Dann antwortete sie: «Ich weiß genau, wie das für sie war.»
    «Sind Sie denn in Wirklichkeit ein Mann, Mrs.   Watkins?»
    «Mr.   Davies», sagte Mrs.   Goddard, «Ihre Bemerkungen fallen mir unendlich auf die Nerven. Bitte, fahren Sie fort, Mrs.   Watkins.»
    «Also, erstens war sie nicht allein», sagte Merrily. «Pfarrer hatten damals einen wesentlich gehobeneren Lebensstil als heute. Sie hatte bestimmt Dienstpersonal. Und es kamen sicher noch viele andere Leute ins Haus, vor denen sie die Wahrheit verbergen musste. Können Sie sich vorstellen, wie kompliziert das gewesen sein muss? Sie hatte in ihrem eigenen Haus keine Privatsphäre. Außer   …»
    Merrily verließ die Kanzel. Sie wollte nicht länger als Pfarrerin sprechen, sondern als Frau.
    «…   außer auf dem Speicher. Ich   … spüre,   … dass der Speicher der einzige Ort war, an dem sie sich als Frau fühlen konnte. Sogarihr Schlafzimmer im ersten Stock wurde von einem Dienstmädchen geputzt und aufgeräumt. Wenn ich in diesem Stockwerk bin, empfinde ich eine Art Beengtheit. Vielleicht ist das Einbildung. Vielleicht ist es nur psychologisch bedingt.»
    «Oder vielleicht haben Sie das zweite Gesicht», sagte Mrs.   Goddard strahlend. Merrily bemühte sich um einen zweifelnden Gesichtsausdruck.
    «Ich glaube, dass es eine sehr schwere Zeit für sie war, sowohl emotional als auch in körperlicher Hinsicht. Ständig musste sie ihre Brust einschnüren und ihre Stimme verstellen. Sie konnte sich niemals

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