Frucht der Sünde
zugleich die Kassenführerindes Hausfrauenvereins war (nicht zu verwechseln mit der
Frauengruppe
, die von neu zugezogenen Gemeindemitgliedern gegründet worden war), hatte sich Merrily bereit erklärt, das Protokoll bei dieser hastig einberufenen Versammlung zu führen. Sie schrieb:
Old Cider?
«Soll ich es erklären, Herr Vorsitzender?» Child hing, auf einen Ellbogen gestützt, halb auf dem Tisch. Seine Hand war zur Faust geballt, als wolle er Cassidy durch Armdrücken von seiner Idee überzeugen.
«Bitte tun Sie das», sagte Cassidy bitter. Es war schließlich
sein
Festival.
Seine
Idee,
sein
Konzept. Exzentriker wie Child sollten sich damit begnügen, gelegentlich einen amüsanten Auftritt hinzulegen.
Merrily lächelte. Child fing ihren Blick auf und zwinkerte ihr zu. Draußen vor dem offenen Fenster wurde gekonnt schlitternd ein kleines Motorrad auf dem Rollsplitt zum Stehen gebracht. Garrod Powell, der sich gern nach seinem Amt im Gemeinderat mit
Councillor
betiteln ließ, ging zur Tür. «Lass den Unsinn, Kirk», hörten sie ihn mahnend hinausrufen. «Sonst unterhalte ich mich mal mit deinem Vater, mein Junge.»
Es wurde langsam dunkel in der Gemeindehalle. Auf dem Weg zurück zu seinem Platz hob Powell die Hand zum Lichtschalter. «Lassen Sie es noch einen Moment aus, ja, Rod?», sagte Child.
Powell, groß und würdevoll, zuckte mit den Schultern und setzte sich zwischen Cassidy und einen schlechtgelaunten James Bull-Davies. «Es fängt mit der Kornstute an», sagte Child. «Das kennen Sie doch, oder, Rod? Wurde das auf Ihrem Bauernhof auch gemacht?»
«Bestimmt», sagte Powell vage.
«Ist eine Sitte aus der Erntezeit. Man lässt das Korn auf einem kleinen Quadrat stehen und teilt es in vier Bündel, die wie Beine hochstehen. Die Stute, verstehen Sie? Dann werden dieseBündel oben zu einer einzigen Garbe zusammengebunden. Anschließend tritt man ein paar Schritte zurück und versucht die Kornähren abzuschneiden, indem man Hacken und Sicheln schleudert.»
«Klingt ziemlich sinnlos in meinen Ohren», bemerkte Terrence Cassidy, der sich offensichtlich nicht mehr daran erinnerte, dass er es war, der das Wassailing organisiert hatte, bei dem mit Gewehren in die Krone eines Apfelbaums geschossen worden war.
Dermot Child ging nicht auf ihn ein. «Es wäre doch interessant, einen Wettbewerb zu veranstalten, um festzustellen, wer das noch schafft.»
Es fiel Merrily schwer, sich vorzustellen, dass Lloyd und Garrod Powell zusammen mit ein paar Saisonarbeitern den Mähdrescher stehenließen, um wertvolle Zeit damit zu verschwenden, eine Korngarbe mit Sicheln zu bewerfen.
«Das», sagte Child, «war aber nur ein Auftakt. Bei dieser und anderen Gelegenheiten wurde natürlich ziemlich viel Cider getrunken. Also. Die Männer stellen sich in einem Kreis auf und rufen …»
Unvermittelt stieß er seinen Stuhl zurück, baute sich zu seiner recht bescheidenen Größe auf und atmete tief ein. Dann ließ er mit den Fingerspitzen auf der Tischplatte seinen dröhnenden Bass ertönen.
«Auld … Ciderrrrrrrr!»
Die Worte hallten wie schauriges, urtümliches Herefordshire-Mantra durch den dämmrigen Raum. Man konnte fast glauben, dass die Wände eingestürzt wären, hätte Child ein paar stimmgewaltige Unterstützer gehabt.
Niemand sagte etwas, bis Child sich wieder hingesetzt hatte.
«Ja», sagte Garrod Powell in das Schweigen hinein. «Jetzt erinnere ich mich.» Dann stand er auf und schaltete das Licht an. Flackernd erwachten die Neonröhren zum Leben. Merrily dachtedaran, dass Gomer Parry ihr erzählt hatte, selbst die geschäftstüchtigen Powells wären nicht frei von Aberglauben.
«Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht», sagte Dermot Child, «aber ich finde das absolut
aufregend
. Ein paar Arbeiter, die Kontakt mit unserer fruchtbaren Erde aufnehmen. Die mit diesem mächtigen Ruf alles zum Vibrieren bringen …
Ciderrrrr
. Das sind die wahren
Ursprünge
der Musik!»
«Wir brauchen also
Vibrations
für das Festival», sagte James Bull-Davies. «Wollten Sie uns das mitteilen?»
Bull-Davies trug ein kariertes Hemd mit Krawatte und eine hellbraune Weste. Solange man nicht in solch einem Dorf lebte, dachte Merrily, würde man es für einen Witz halten, dass sich jemand noch wie ein wahrhaftiger Gutsherr kleidete. Aber es war eine Tatsache, dass Leute wie James Bull-Davies keine Jeans trugen und auch keine T-Shirts und
niemals
, unter keinen Umständen, eine Baseball-Mütze – auch nicht richtig
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