Frucht der Sünde
dem
Rauchen-verboten-
Schild und sehnte sich nach einer Zigarette.
Zurück im
Black Swan
sah sich Jane in dem kleinen Aufenthaltsraum für die Hotelgäste allein eine Gewinnshow im Fernsehen an. Langsam verstand sie, warum sich ihre Mutter so gern in der Kirche aufhielt.
Etwas Blödsinnigeres als diese Gewinnshow konnte man sich kaum vorstellen. Wie sie alle kreischten, wenn eine Nummer gezogen wurde. Das waren also die Errungenschaften der Menschheit – reine Habsucht und Geldgier.
Tja, Dad war auch geldgierig gewesen. Daran führte kein Weg vorbei. Wie dumm er gewesen war.
Fast zwei Jahre lang hatte sie heimlich ein Foto des Unfallwagens aufgehoben. Das heißt, sie hatte es vor Mom verheimlicht, die damals versucht hatte, Jane vor dem schrecklichen Geschehen abzuschirmen.
Dads Wagen sah grauenvoll aus, wie eine zerknüllte Zeitung, man konnte kaum noch erkennen, dass es einmal ein Auto gewesen war. Das Foto war in ein paar überregionalen Zeitungen abgebildet worden, und Jane hatte es ausgeschnitten und unter ihrer Matratze versteckt.
Sie fröstelte jedes Mal, wenn sie das Bild ansah. Dennoch betrachtete sie es jeden Abend. Als die Aufnahme gemacht wurde, war Dad noch in dem Autowrack gewesen – wie Fleischstücke in einem Burger.
Dadburger.
Mit Karen-Garnierung. Zerfetztes Fleisch von Dad und Karen, miteinander vermischt. Fleisch an Fleisch, Gewebe an Gewebe, ihre Sehnen umeinander verdreht. Sie waren sich näher gewesen, als sie es im Leben je hätten sein können. Es war ein intimerer Kontakt, als Sean Barrow ihn jemals mit Mom gehabt hatte. Am Ende hatte ihn Karen vollkommen beherrscht, und es wäre eine Erleichterung zu glauben, dass sich Mom aus diesem Grund in die Arme Gottes geflüchtet hatte. Aber so einfach war es nicht. Es hatte sichschon viel früher abgezeichnet. Die unverständlichen Taschenbücher, die langen Spaziergänge, die langweiligen Abendandachten, die ehrenamtliche Arbeit im Jugendclub. Es war wie eine schleichende Krankheit gewesen.
«Ah, sieh mal an.»
Ein starker Moschusgeruch erreichte Jane. Sie fuhr auf ihrem Stuhl herum, und da, an der Tür, stand die glamouröse Miss Colette Cassidy in ihrem Teenager-Nuttenkleid. Grinsend warf sie einen Blick auf den Fernseher.
«Hab schon gehört, dass du eine Intellektuelle bist.»
«Bleib ruhig noch ein bisschen», gab Jane cool zurück. «Vielleicht sehe ich mir gleich noch
Supermodel
an.»
«
Supermodel
läuft zurzeit überhaupt nicht …»
Jane grinste triumphierend. Sie hatten sich zwar gelegentlich auf der Straße gesehen, doch heute redeten sie zum ersten Mal miteinander.
«Außerdem ist
Supermodel
eine ganz andere Kategorie.»
«Wenn dir so was gefällt …»
«Was einem gefällt», Colette fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, «kann man erst wissen, wenn man es ausprobiert hat.»
Na gut, der Punkt geht an dich.
Colette ließ sich zu einem gnädigen Lächeln herab. «Lust auf was zu trinken?»
«Und wie», sagte Jane geradeheraus. Seit der berüchtigten Nacht war sie nie mehr ohne Mom in einer Bar gewesen.
«Ich meine aber nicht
hier
», sagte Colette. «Wir gehen runter in den
Ox
.»
Jane war wider Willen beeindruckt. Der
Ox
war ein kleiner, schummriger Pub. Vor dem Toilettenflur standen Spielautomaten mit zuckenden Lichtsignalen.
Das sollte wohl ein Test sein.
«Deine Mutter kommt nicht vor elf aus dieser Versammlungraus», sagte Colette. «Dafür wird mein alter Herr sorgen. Also hast du ein paar Stunden Zeit.»
«Ich weiß nicht recht.» Jane wurde nervös. Sie würde ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen.
Colette warf ihre dunkelbraune Mähne zurück wie ein Vollblutfohlen. An ihrer Nase glitzerte ein Diamantenstecker. War so was in der Cathedral School erlaubt, oder trug sie den nur am Wochenende? Musste irre wehtun, sich so ein Ding verpassen zu lassen. Allerdings sah es schon ziemlich gut aus.
«Und falls du Angst hast, dass dich jemand bei Hochwürden Mama verpetzt», sagte Colette schmeichlerisch, «dann kann ich dich darüber aufklären, dass die Gäste im
Ox
nicht gerade als eifrige Kirchgänger bekannt sind.»
«Schon gar nicht, nachdem sie den Samstagabend im Pub verbracht haben.»
«Genau.» Colettes erfahrenes Lächeln ließ sie zwanzig Jahre älter wirken.
«Es liegt aber ziemlich nahe am Gemeindesaal.»
«Leben ist Risiko», sagte Colette.
Jane stand auf.
«Komme ich zu spät?»
Es klang nicht so, als hätte es ihn im Geringsten gekümmert. Richard Coffey legte seine
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