Frucht der Sünde
beerdigen lassen.
«
Ja
, das tut es.» Jane wandte sich auf der Treppe um.
«
Gefällt
es dir?»
«Zumindest haben wir all diese Zimmer inzwischen ausgeräumt», sagte Ted. «Alf und Betty hatten uns nämlich großzügigerweise das Gerümpel eines Vierteljahrhunderts überlassen. Es waren sogar vergilbte Zeitungen mit Bildern von der ersten Mondlandung dabei.»
Jane legte nachdenklich den Zeigefinger an ihr Kinn. «Es sind viel mehr Zimmer, als du brauchst, Mom, stimmt’s?»
«Mmmh … ja.»
«Auch wenn man deine sämtlichen Bibelkurse, Gemeinderatsversammlungen und die Besuche von nigerianischen Baptistenpredigern mitrechnet.»
«Äh, ja. Es sei denn, sie reisen mit ihrer ganzen Familie an.»
«Also wird das gesamte oberste Stockwerk eigentlich nicht gebraucht.»
«Möglicherweise.»
Ihre Tochter benahm sich wie einer von diesen aalglatten Rechtsanwälten. (Zu denen auch Merrily hätte gehören können, wäre sie nicht so unerwartet von Gott zu ihrem Amt berufen worden. Ob sie wohl auch in der Kirche gelandet wäre, wenn Jane nicht auf die Welt gekommen wäre?)
«Mom, jetzt sieh mich nicht so an. Ich meine ja nur, dass ich hier oben ein paar Zimmer haben könnte. Wie eine
Suite
. Weil … na weil … überleg dir doch mal, diese Hintertreppe führt zu einem eigenen Eingang. Es gibt dort eine dritte Tür ins Haus, stimmt’s?»
Ted gluckste in sich hinein. Er wusste alles über Töchter.
«Stimmt», sagte Merrily. «Und?»
«Also wäre es wie mein eigener Eingang. Es wäre eigentlich … wie meine
eigene
Wohnung.»
«Oh, ich verstehe.»
Die dritte Tür mit ihrer eigenen Klingel und einem Schildchen unter Plexiglas, auf dem
Jane Watkins
stehen würde. Sie war fünfzehn.
«Und du würdest auch die Heizkosten für diese, mmh …
Suite
übernehmen, oder?»
«Oh nein.» Jane funkelte über das Treppengeländer aus Eiche zu Merrily hinunter «Jetzt geht das schon wieder los. Immer siehst du alles nur negativ.»
«Vielleicht könntest du ja auch ein paar Zimmer untervermieten.»
Jane warf Merrily einen bösen Blick zu und stürmte die Treppe hinauf. Die Eichendielen knarrten, dann wurde quietschend eine Tür aufgezogen. Die Geräusche hallten in dem leeren Haus wider.
«Könnte ein zweifacher Bluff sein», sagte Merrily, während ihre Tochter oben über nackte Dielenböden ging und sich vermutlichüberlegte, an welcher Stelle ihre Stereoanlage den besten Klang entfalten würde. «Sie will mir nämlich vermitteln, dass sie sich hier dermaßen langweilen wird, dass sie gar nicht anders kann, als sämtliche jungen Bauern aus der Gegend zu wilden Partys einzuladen. All diese Dorf-Romeos, die sich auf der Hintertreppe die Pillen einwerfen.»
Ted lachte. «Die Jungbauern hier werfen keine Pillen ein. Jedenfalls nicht dass ich wüsste. Ist ein stressiger Job heutzutage. Sinkende Erträge, Brüssel im Nacken, Quoten für dies, Quoten für das, Hunderte von Formularen zum Ausfüllen, Rinderwahnsinn. Die Selbstmordrate ist wirklich … Entschuldige. Ich wollte keine bösen Erinnerungen wachrufen.»
«Wie? Oh.»
«Ich weiß noch, wie ich zu dir sagte: ‹Wenn du dir auf unproblematische Art ein Bild von unserem Dorfleben verschaffen willst, dann geh doch zu diesem Wassailing.› Ich konnte natürlich nicht ahnen, was passiert. Tut mir schrecklich leid, Merrily.»
Sie sah durch das Treppenhausfenster hinunter in einen kleinen, quadratischen Rosengarten. Die roten und orangefarbenen Töne der Erde wirkten fast lebhafter als die Blumen selbst. Hinter einer Hecke lag der Friedhof mit seinen fast idyllisch wirkenden Sandstein-Grabmälern.
Merkwürdigerweise hatte sie nach diesem schrecklichen öffentlichen Tod vor mehr als drei Monaten keinerlei Alpträume gehabt. Wenn sie daran zurückdachte, erschien ihr die ganze Szene unwirklich. Als ob ein gewaltsamer Tod eine Art eingeplanter Höhepunkt auf dem Programm des Wassailing gewesen sei und Edgar Powell, der älteste Schütze, sich verpflichtet gefühlt hätte, diesen Programmpunkt zu übernehmen.
«Weißt du, in dem Moment, in dem ich vollgespritzt mit dem Blut dieses armen alten Kerls in dem Obstgarten stand, habe ich mich erst wirklich dafür entschieden, es mit der Arbeit hier zuversuchen. Ich habe daran gedacht, dass ich in der ganzen Zeit in Liverpool nichts erlebt habe, was auch nur annähernd so unmittelbar und so schockierend war. Ich habe gedacht, dass die größeren Herausforderungen vielleicht in diesem Dorf auf mich warten. Konnte
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