Frucht der Sünde
kam zurück. Der helle, sonnenüberglänzte Morgen wurde von den Schrecken der Nacht weggewischt.Merrily konnte es kaum ertragen. Mit einem Satz sprang sie wieder aus dem Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.
Als sie ins Schloss fiel, hörte Merrily auf der anderen Seite den Knauf zu Boden poltern.
20 Hysterische Frau
In der darauffolgenden Woche war Jane wieder sehr umgänglich. Sie stand sogar früher auf, um Merrily das Frühstück zu machen, oder kochte ihr einen Tee, wenn sie sich mit Verwaltungsaufgaben oder einem Beitrag fürs Gemeindeblättchen beschäftigte.
Merrily hatte ihr nichts von den sechs Briefen erzählt, die sie erhalten hatte – vier davon anonym –, die sie dazu aufforderten, um keinen Preis zuzulassen, dass die Kirche für die Aufführung eines Stückes genutzt wurde, das die Briefeschreiber ‹blasphemisch›, ‹satanisch› und ‹obszön› nannten.
Am Mittwoch rief Merrilys Mutter aus Cheltenham an, um zu sagen, dass sie eine Erkältung habe und deshalb vermutlich nicht zu dem Gottesdienst anlässlich der Amtseinführung kommen könne.
Oh, sicher. Und es hatte selbstverständlich überhaupt nichts damit zu tun, dass ihr Merrilys Rolle als Pfarrerin leicht peinlich war. «Ich verstehe es einfach nicht. Wir hatten noch nie
so jemanden
in der Familie.»
Sie hatte sich mit ihrer Mutter noch nie über irgendetwas unterhalten können, das sie wirklich berührte, und mit ihrem Vater hatte sie ebenfalls kaum Kontakt, weil er nach der Scheidung nach Kanada gezogen war. Tja,
solche Fälle
gab es allerdings ein paar in der Familie …
«Vermutlich wird Ted ja bei dieser Amtseinführung dabei sein», hatte ihre Mutter gesagt. «Er wird sich bestimmt um dich kümmern.»
Zum Gottesdienst anlässlich der Einsetzung von
HOCHWÜRDEN MERRILY WATKINS
als Pfarramtsvertreterin in der Gemeinde Ledwardine
am Freitag um 19 : 30 Uhr
ist die gesamte Gemeinde herzlich eingeladen
«Ich rechne mit einem vollen Haus», sagte Ted, als er mit den Ankündigungsblättern kam. «Das gab’s hier seit mehr als dreißig Jahren nicht … und dann noch eine Frau. Es wird dir gefallen. Du wirst sie alle von dir überzeugen. Das weiß ich.»
Merrily rieb sich die Augen. «Und was ist, wenn ich in meiner Soutane bloß
gut rauskomme
?»
Ted lächelte. «Übrigens, war es etwas Wichtiges, was du Alf fragen wolltest? Der alte Hund kommt nämlich nicht. Er ist an der Algarve. Hat dort das Teilnutzungsrecht an einem Sommerhaus.»
«Das ist sicher leichter zu unterhalten als dieses Haus hier.» Merrily warf einen Blick auf das kleinste der Küchenfenster, das von einer Jungfernrebe so zugewachsen war, dass die Öffnung eher an die Schießscharte eines mittelalterlichen Schlosses erinnerte.
«Aha», sagte Ted, «es geht um das Haus, oder? Du solltest dir mit der Einrichtung nicht zu viel Mühe machen.» Er hielt inne. «Ich habe ein paar Erkundigungen eingezogen. Wenn du es ein Jahr lang hier aushältst, haben wir vielleicht etwas anderes für dich. Unten an der Hereford Street wird eine kleine Siedlung geplant. Ziemlich hochwertig, für die Art Leute, die bei Cassidys essen gehen – also wird er dieses Mal hoffentlich keine Einwände haben.»
Merrily fragte zögernd: «War Alf Hayden froh, hier wegzukommen?»
«Er war froh, in den Ruhestand gehen zu können. Da hat er mehr Zeit zum Angeln und zum Golfspielen. Ob er froh war, aus dem Dorf wegzukommen, weiß ich nicht.»
«Ich meinte auch eher das Haus.»
«Also, für ihn war es etwas ganz anderes, glaube ich, mit seiner großen Familie. Er mochte den alten Kasten sogar gern, auch wenn er nicht viel daran gemacht hat.»
«Also hat er gefunden, dass es eine gute … Atmosphäre hat?»
«Atmosphäre?» Ted kniff die Augen zusammen.
Lass es, dachte Merrily. Hat ja doch keinen Zweck.
«Tut mir leid.» Sie trug Teds Tasse zur Spüle. «Es ist nur ein bisschen düster, das ist alles.»
«Du wirst schon etwas daraus machen. Und Jane? Wie kommt sie mit ihrer Wohnung voran?»
«Das weiß ich nicht so genau. Sie lässt zurzeit niemanden hinein.»
Meine Güte, dachte Merrily, wir fangen an, unser Leben getrennt zu leben. Am Ende treffen wir uns nur noch zum Essen, als wären wir nur im selben Hotel.
In der Nacht auf Freitag wurde Merrily von Geräuschen aus dem oberen Stockwerk geweckt.
Wach auf. Los. Wach auf,
sofort
.
Denn sie war nicht richtig wach, oder? Jedes Mal, wenn so etwas passierte, träumte sie, dass sie
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