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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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erobernde Hand war bis zu dem zarten Handgelenk hinaufgeglitten, das ihm überlassen blieb, und seine Schnurrbartspitzen streiften die kurzen, gekräuselten Haare ihrer Schläfen. Er neigte sich weiter vor, dämpfte die Stimme noch mehr, umhüllte sie, besänftigte sie mit leise geflüsterten Worten, von denen nur einige hörbar waren.
    »Sie haben unrecht, sich so zu kränken … Vergessen Sie doch all diese Torheiten … Ich sagte Ihnen ja schon, er ist nichts als ein ungeschickter Mensch …«
    Zweimal wiederholte er das »ungeschickter Mensch« mit einer Art mitleidigen Spottes; sie schien zu verstehen, denn sie lächelte schwach unter ihren sich vermindernden Tränen, und sagte ihrerseits leise:
    »Ja, ja, ich weiß. Sie sind sehr gut, danke. Und Sie haben recht, es wäre fortan zu dumm von mir. Ah, alles, was man will, wenn ich nur ein wenig glücklich sein kann!«
    Mathieu sah deutlich, wie sie langsam ihr Handgelenk losmachte, nachdem sie ihrerseits Santerres Hand gedrückt hatte. Sie hatte seinen Trost angenommen, das bis jetzt verzögerte Rendezvous war nun für einen nahen Tag zugesagt. Das war nur die natürliche Folge des Unheils, das über sie hereingebrochen war, der Ehebruch war das unvermeidliche Schicksal der Gattin, die dem Manne nur als Gegenstand der Lust dient, der Mutter, die sich ihrer Pflicht als Ernährerin ihres Kindes entzieht. Ein Schrei Andrées ließ sie jedoch zitternd auffahren, rief sie zu der Wirklichkeit des Augenblicks zurück. Wenn das arme Geschöpf so schwächlich war, weil es der Milch seiner Mutter nicht teilhaftig geworden, so war diese ihrerseits nur darum in Gefahr zu fallen, weil sie sich weigerte, es zu nähren, es an ihrer Brust zu tragen wie einen undurchdringlichen Schild der Verteidigung. Sie waren, Mutter und Kind, Leben und Gesundheit füreinander, ihre Trennung bedeutete für beide den Untergang. Offenbar sah sie in diesem Augenblicke die ganze Gefahr vor Augen, denn eine innere Auflehnung trieb sie von Santerre weg; sie lief zu dem Kinde hin, trachtete es zu beruhigen, bedeckte es mit Küssen, barg sich dahinter wie hinter einem Wall vor der äußersten Tollheit, die zu begehen sie sich im Begriffe fühlte. Und wie zog sich ihr das Herz zusammen vor Kummer und Scham, als sie sah, daß ihre beiden Kinder da waren und alles sahen und hörten! Dann bemerkte sie, daß auch Mathieu noch immer wartete, und sie brach neuerdings in Tränen aus; sie versuchte, das Vorgefallene zu erklären, sie ging so weit, ihren Mann zu verteidigen.
    »Entschuldigen Sie ihn, er hat Augenblicke, wo er den Kopf verliert… Mein Gott, was fange ich nur mit dem Kinde an? Ich kann sie ja jetzt nicht mehr stillen, damit ist es vorbei. Es ist zu schrecklich, wenn man sich gar nicht mehr zu helfen weiß! Was soll nun werden, lieber Gott!«
    Unbehaglich, wohl fühlend, daß sie ihm entschlüpfe, seitdem sie ihr Kind auf dem Arme hatte, trachtete Santerre sie wieder durch schmeichelnde Worte zu besänftigen und zu sich herüberzuziehen. Aber sie hörte nicht auf ihn, und er hatte schon bei sich beschlossen, die Belagerung auf eine günstigere Gelegenheit zu verschieben, als ein unerwarteter Zwischenfall ihm zum Siege verhalf.
    Céleste war geräuschlos eingetreten und wartete, daß Madame ihr zu sprechen erlaube.
    »Meine Freundin ist zu mir auf Besuch gekommen, Sie wissen, Madame, meine Landsmännin, Sophie Couteau, und da sie gerade eine Amme mit sich hat –«
    »Eine Amme ist da?«
    »Ja, ja, Madame, eine sehr schöne, eine sehr gute.«
    Und als sie das sprachlose Entzücken ihrer Herrin sah, ihre unendliche Freude, so unerwartet von allen Widrigkeiten befreit zu werden, entwickelte sie eine außerordentliche Dienstfertigkeit.
    »Wollen sich Madame doch nicht mit dem Kinde abschleppen! Madame sind daran nicht gewöhnt. Wenn Madame gestatten, so werde ich die Amme hereinführen.«
    Valentine hatte sich das Kind abnehmen lassen, indem sie einen glücklichen Seufzer der Erleichterung ausstieß. Der Himmel verließ sie also doch nicht! Aber sie war dagegen, daß die Amme heraufgeführt werde, denn sie fürchtete, daß die Betrunkene, wenn sie zufällig aus ihrem Zimmer herauskäme und die neue sähe, imstande wäre, sie alle zu schlagen und aufs neue anzufangen, alles zu zerstören. Sie wollte selbst hinuntergehen und bestand darauf, daß Santerre und Mathieu mitgingen, besonders dieser letztere, der sich darauf verstehen müsse, wie sie sagte, ob er sich auch dagegen verwahrte. Es blieben nur

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