Fruchtbarkeit - 1
den Ansichten von einst festgehalten? Hätte auch er noch die Theorie des einzigen Kindes verfochten, die abscheuliche Berechnung des Eigennutzes, die ihn seine Frau und sein Kind gekostet hatte? Er sah sein Gesicht, bleich und verstört unter dem Sturme, der für seinen armen mittelmäßigen Kopf zu heftig gewesen, seine gebeugte Gestalt, seinen stumpfsinnigen Schritt, der irgendeinem rätselhaften Ende, vielleicht dem Wahnsinn, zuwankte. Aber die traurige Vision verschwand, und unter der fröhlichen Sonne lag wieder der grüne Rasen und bot im Rahmen der Bäume ein solches Bild glücklicher Gesundheit und triumphierender Schönheit, daß Mathieu das düstere Schweigen brach, indem er unwillkürlich ausrief:
»Da sehen Sie nur her! Ist das nicht köstlich und reizend, diese Frauen, diese Kinder hier im Grünen? Man sollte das malen, um den Leuten zu zeigen, wie schön und glückbringend es ist, zu leben!«
Auf dem Rasen hatten die Zurückgebliebenen inzwischen ihre Zeit nicht verloren, während die Beauchêne und Séguin die Ställe besichtigen gegangen waren. Vorerst hatte man sich wieder mit den Menüs beschäftigt, die Charlotte mit so hübschen Aquarellen geziert hatte. Alle waren entzückt gewesen von dieser hübschen Ueberraschung, und noch immer lachten sie fröhlich über dieses Durcheinander von Kinderköpfen, eine Nachkommenschaft von solcher Zahl, daß man damit die Gedecke einer ganzen großen Tafel schmücken konnte. Während dann der Tisch abgeräumt wurde, erzielte Grégoire einen großen Erfolg, indem er der Neuvermählten einen Strauß herrlicher weißer Rosen darbot, den er bisher in einem nahen Gebüsch verborgen gehalten hatte. Offenbar hatte er nur darauf gewartet, daß der Vater nicht da sei. Es waren die Rosen der Mühle, er mußte mit Hilfe Thérèses den Garten geplündert haben. Marianne war entsetzt und wollte ihn schelten. Aber welch herrliche weiße Rosen waren es, so groß wie die Kohlköpfe, wie er es gesagt hatte! Und er hatte recht, er konnte triumphieren, seine Rosen waren die einzigen weißen Rosen, er hatte sie erbeutet als nichtsnutziger und ritterlicher Junge, der imstande war, Mauern zu überklettern und Mädchen zu beschwatzen, um eine junge Braut mit weißen Blumen zu schmücken.
»Sie sind zu schön,« erklärte er zuversichtlich. »Papa wird nichts sagen.«
Alles lachte und dann gab es einen neuen Zwischenfall. Benjamin und Guillaume, die erwacht waren, schrien vor Hunger. Nun waren sie an der Reihe, wie alles heiter bemerkte. Da der große Tisch mit so gutem Appetit gegessen hatte, war nichts berechtigter, als daß nun auch der kleine Tisch bedient werde. Und da man unter sich, im Familienkreise war, so geschah das ganz einfach, ohne alle Umstände. Marianne, die im Schatten der großen Eiche saß, nahm Benjamin auf die Knie, öffnete ihr Kleid und gab ihm die Brust mit ihrem ernsten Lächeln; während neben ihr, zu ihrer Rechten, Charlotte mit derselben heiteren Miene desgleichen tat, den gierig saugenden Guillaume an der Brust; und zu ihrer Linken hatte sich Andrée mit ihrem kleinen Léonce gesetzt, der seit acht Tagen entwöhnt war, der aber noch immer gern sich an die warme Brust schmiegte, an der er bis jetzt gelebt hatte. Das Gespräch drehte sich um das Stillen. Ambroise erzählte, daß seine Frau Andrée überzeugt gewesen sei, daß sie nicht trinken lassen könne, so daß sie, ohne ihn, es nicht einmal versucht hätte; aber die Milch sei gleichwohl gekommen, sie habe das Kind sehr gut nähren können. Es bedürfe nur des Willens dazu.
»So war es,« sagte Andrée lächelnd. »Ich hatte Angst vor dem Stillen, alle meine Freundinnen sagten mir, daß das nicht möglich sei. Zuerst kam es mir so schwer an, und jetzt bin ich so glücklich!«
Sie gab ihrem Léonce einen herzhaften Kuß. Dann rief die Neuvermählte unter allgemeiner Heiterkeit: »Hörst du, Mama? Ich bin nicht so stark wie Charlotte, die schon ihr Drittes stillt. Aber trotz alledem werde ich selber stillen.«
Inmitten des lauten Lachens, das diesen Worten folgte und das sich verdoppelte, als Marthe tief errötete, kehrten die Beauchêne und Séguin mit Mathieu zurück. Sie blieben stehen, bezaubert von dem anmutigen und lebensvollen Bilde. Im Rahmen der großen Bäume, unter der patriarchalischen Eiche, wie mit dem üppigen Grase aus derselben fruchtbaren Erde entsprossen, befand sich die ganze Familie, zu mächtigem Wachstum entwickelt, in einer Gruppe voll triumphierender Kraft, Schönheit und
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