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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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daß sie andern das Brot wegäßen, da ein jedes von ihnen mit seinem Brote war geboren worden. Millionen neuer Wesen konnten noch geboren werden, die Erde war groß, noch mehr als zwei Drittel waren urbar zu machen und zu bebauen, eine unendliche Fruchtbarkeit lag noch ungehoben für eine unendliche Menschheit. Und hatte sich nicht alle Zivilisation, aller Fortschritt immer nur unter dem Vorwärtsdrängen der großen Zahl vollzogen? Einzig die Unbesonnenheit der Armen hatte die umwälzenden großen Massen zur Eroberung der Wahrheit, der Gerechtigkeit, des Glückes hinausgesandt. Von Tag zu Tag würde der wachsende menschliche Strom vermehrte Güte und Billigkeit erfordern, eine richtige Verteilung des Besitzes durch gerechte Gesetze, welche die allgemeine Arbeit regeln. Und wenn es richtig war, daß die Zivilisation der Fruchtbarkeit Schranken setzt, so konnte gerade diese Erscheinung in fernen Jahrhunderten das endgültige Gleichgewicht erhoffen lassen, wenn die vollkommen bevölkerte Erde weise genug geworden war, um in einer Art göttlicher Unbeweglichkeit zu leben. Dies war jedoch nur eine rein geistige Vorstellung, welche keinen Einfluß haben durfte auf die Bedürfnisse des Tages, die Nationen wieder aufzurichten, unaufhörlich zu stärken und zu mehren, bis die Zeit der allmenschlichen Gemeinschaft herangekommen war. Und hierin hatten er und Marianne das mutige, das notwendige Beispiel gegeben, um die Sitten und den Begriff des Guten und den Begriff des Schönen zu wandeln.
    Schon hatte Mathieu die Lippen geöffnet. Plötzlich fühlte er, wie überflüssig Worte waren, angesichts des prächtigen Bildes dieser von einer solchen Fülle kräftiger Kinder umgebenen Mutter, die wieder ein Kind trinken ließ unter der Eiche, die sie gepflanzt hatte. Sie arbeitete an dem großen und guten Werke, eine Welt fortzusetzen, unablässig neues Leben zu zeugen. Sie war die souveräne Schönheit.
    Und er fand nur eines angemessen und ausreichend, das war, sie vor der ganzen Hochzeitgesellschaft herzlich zu küssen. »Du, geliebte Frau, du bist die Beste und die Schönste. Mögen alle es machen wie du!«
    Während Marianne ihm seinen Kuß aus ganzem Herzen zurückgab, brachen die andern in fröhlichen Beifall aus. Sie waren beide Helden, die ihr Leben in gewaltigem, mutigem Kampfe zum Siege geführt hatten, dank ihrem Glauben an das Leben, dank ihrer Tatfreudigkeit, ihrer Fähigkeit, zu lieben. Und Constance fühlte endlich, begriff die erobernde Macht der Fruchtbarkeit, sah bereits die Froment Herren der Fabrik durch Denis, Herren des Palais der Séguin durch Ambroise, Herren der ganzen Gegend durch die andern. Ihrer war die Zahl, ihrer war der Sieg. Und verzehrt durch eine Liebessehnsucht, die sie nicht mehr befriedigen konnte, erfüllt von der Bitterkeit ihrer Niederlage, vielleicht noch immer auf irgendwelche grausame Rache des Schicksals hoffend, wandte sie sich ab, um zwei große, heiße Tränen zu verbergen, die über ihre vertrockneten Wangen herabrollten – sie, die sonst nie weinte.
    Benjamin und Guillaume tranken noch immer, zwei gefräßige kleine Leute, die sich ihre Mahlzeit durch nichts stören ließen. Marianne hatte ihrem Sohne die andre Brust gereicht. Charlotte bewachte den ihren, damit er sie nicht zu stark beiße. Wenn nicht so viel gelacht worden wäre, so hätte man das Rieseln der Milch hören können, dieses kleinen Bächleins des großen Säftestromes, der die Erde schwellte, der die Bäume erbeben machte, unter der starken Sonne des Julitages. Auf allen Seiten rollte das fruchtbare Leben die Keime, schuf, zeugte, nährte. Und um des ewigen Lebenswerkes willen floß der ewige Milchstrom durch die Welt.
     
     

Sechstes Buch

1
    Norine und Cécile arbeiteten eines Sonntagmorgens trotz des Feiertags an ihrem kleinen gemeinschaftlichen Tischchen, da der nahende Neujahrstag eine Flut von Arbeit gebracht hatte – als sie einen Besuch erhielten, der sie betäubte und entsetzte.
    Bis jetzt war ihr unscheinbares, verborgenes Leben friedlich verlaufen, ohne andre Kämpfe als die Sorge ums Auslangen bis zum Ende der Woche und das Beiseitlegen des vierteljährigen Mietzinses. Während der acht Jahre, da sie das große Zimmer mit den hellen Fenstern bewohnten, auf dessen Nettigkeit sie stolz waren, war der Knabe Norinens fröhlich zwischen seinen beiden Müttern aufgewachsen, die ihn beide gleich leidenschaftlich liebten; er verwechselte sie auch infolgedessen miteinander, sagte ebensogut Mama Norine wie Mama

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