Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
Cécile, ohne eigentlich zu wissen, ob die eine mehr seine Mama sei als die andre. Sie arbeiteten, sie lebten nur für ihn, die eine noch hübsch mit vierzig Jahren, vor den Männern durch ihre verspätete Mutterschaft bewahrt, die andre mit dreißig Jahren Kind geblieben, auf diesen Knaben alle tiefinnerliche Liebessehnsucht der Gattin und Mutter vereinigend, die sie nie sein konnte.
    An diesem Sonntag gegen zehn Uhr erscholl ein kräftiges, zweimaliges Klopfen an ihrer Tür. Als sie öffneten, trat ein etwa achtzehnjähriger untersetzter Bursche ein. Er war braunhaarig, hatte ein breites Gesicht, kräftige Kinnladen und hellgraue Augen. Er trug eine zerlumpte Joppe und eine abgegriffene schwarze Mütze.
    »Entschuldigen Sie,« fragte er, »wohnen hier die Damen Moineaud, die Schachteln arbeiten?«
    Norine sah ihn an, von plötzlicher Angst ergriffen. Ihr Herz hatte sich zusammengezogen, wie vor einem drohenden Unglück. Sie hatte dieses Gesicht schon irgendwo gesehen. Aber sie fand in ihrem Gedächtnisse nur die Erinnerung an eine alte Gefahr, die verstärkt wiederkehrte, um ihr Leben zu verderben.
    »Ja, das ist hier,« erwiderte sie.
    Der junge Mensch ließ gelassen die Augen durch das Zimmer schweifen. Er hatte wohl mehr Wohlstand erwartet, denn er zog eine leicht geringschätzige Grimasse. Er sah den Knaben an, der als braver kleiner Junge mit einem Buche dasaß und nun den Kopf erhoben hatte, um den Ankömmling anzuschauen. Und er schloß seine Musterung mit einem kurzen Blick auf die andre Frau, von so zarter, schwacher Gestalt, die ebenfalls beunruhigt schien von dem Neuen, Unbekannten, das mit diesem Ankömmling so plötzlich hereingetreten war.
    »Man hat mir gesagt, im vierten Stock, die Tür links,« sagte er wieder. »Trotzdem fürchtete ich, daß ich mich vielleicht irre, denn das, was ich zu sagen habe, kann ich nicht allen Leuten sagen. Es ist keine angenehme Sache, und ehe ich hierhergekommen bin, habe ich es mir wohl überlegt.«
    Er sprach schleppend und wandte den Blick seiner blassen Augen nicht von Norine, nachdem er gesehen hatte, daß die andre zu jung für die sei, die er suchte. Die wachsende Angst, von der er sie erbeben sah, während sie offenbar ihr Gedächtnis untersuchte, veranlaßten ihn, die Prüfung noch ein wenig zu verlängern. Endlich sprach er.
    »Ich bin das Kind, das in Rougemont in Pflege gegeben wurde. Ich heiße Alexandre Honoré.«
    Er hatte nicht nötig, mehr zu sagen. Die arme Norine hatte am ganzen Körper zu zittern angefangen, sie schlug die Hände zusammen, während ihr bleiches Gesicht sich verzerrte. Großer Gott! Beauchêne! Er war es, dem er ähnelte, und zwar in auffälliger Weise, mit seinen gierigen Augen, den breiten Kinnladen, seinem ganzen Aussehen eines den niedrigsten Ausschweifungen verfallenen Lüstlings – so ähnelte, daß sie nun erstaunt war, seinen Namen nicht beim ersten Blick laut hinausgerufen zu haben. Ihre Beine versagten den Dienst, sie mußte sich setzen.
    »Sie sind es also,« sagte Alexandre ruhig.
    Sie fuhr fort zu zittern, bloß mit einer Gebärde zustimmend, ohne imstande zu sein, ein Wort herauszubringen, so schnürten ihr Angst und Verzweiflung die Kehle zu; und er fühlte das Bedürfnis, sie ein wenig zu beruhigen, um sich nicht gleich von vornherein die Tür wieder zu verschließen, die sich ihm eben geöffnet hatte.
    »Sie müssen nicht so aufgeregt sein. Sie haben nichts von mir zu fürchten, meine Absicht ist nicht, Ihnen Unannehmlichkeiten zu verursachen. Nur aber, wie ich endlich erfahren habe, wo Sie sind, habe ich das Verlangen gehabt, Sie kennen zu lernen, das ist nur natürlich, mcht wahr? Und ich habe mir sogar gedacht, daß Sie vielleicht froh sein werden, mich zu sehen… Und dann ist die Sache die, daß ich in Not bin. Es sind nun bald drei Jahre her, daß ich so dumm war, nach Paris zu kommen, wo ich nicht einmal meinen Hunger stillen kann. Wenn man nichts gegessen hat, so bekommt man Lust, die Eltern wiederzusehen, nicht wahr, die einen auf der Straße gelassen haben, die aber vielleicht nicht das schlechte Herz haben werden, einem einen Teller Suppe zu verweigern.«
    Tränen stiegen in Norinens Augen auf. Das war eine Katastrophe, diese Rückkehr des unseligen Verlassenen, dieses großen unheimlichen Jungen, der sie anklagte, der vor Hunger schrie! Ungeduldig geworden, daß er nichts andres aus ihr herausbrachte als Zittern und Schluchzen, wendete er sich an Cécile.
    »Ich weiß, Sie sind die Schwester. Sagen Sie

Weitere Kostenlose Bücher