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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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hatte, Philippe Havard, einen jungen Ingenieur, der vor kurzem zum zweiten Direktor einer im Staatsbesitze befindlichen Fabrik bei Mareuil ernannt worden war. Die junge Frau kam in Chantebled nieder, und am Tage des ersten Ausganges der Wöchnerin vereinigte sich wieder einmal die ganze Familie, um Urgroßvater und Urgroßmutter jubelnd zu feiern.
    »Nun wohl,« sagte Marianne fröhlich an der Wiege, »wenn die Jungen ausfliegen, so kommen wieder neue nach, und das Nest wird also nie leer werden!«
    »Nie, nie!« sagte Mathieu zärtlich, stolz auf diesen fortgesetzten Sieg über die Einsamkeit und den Tod. »Wir werden nie allein bleiben!«
    Allein es folgte wieder eine Trennung, die sie viel Tränen kostete. Nicolas, der Vorjüngste, näherte sich dem zwanzigsten Jahre, ohne sich noch entschieden zu haben, welche Richtung er an diesem Kreuzweg des Lebens einschlagen sollte. Er war ein kräftiger, braunhaariger junger Mann mit einem heiteren, offenen Gesichte. Als Knabe hatte er alle Reisebeschreibungen begierig gelesen, von Abenteuern in fernen Ländern geträumt, dabei war er ein ausdauernder, abgehärteter Junge, der von weiten Streifzügen mit Blasen an den Füßen heimkehrte, ohne eine Klage laut werden zu lassen. Außerdem besaß er einen außerordentlichen Spar und Ordnungssinn, hielt seine kleinen Besitztümer stets sauber eingereiht in seiner Lade und sah geringschätzig auf die Nachlässigkeit seiner Schwestern herab. Als er heranwuchs, war er nachdenklich geworden, als suche er rings um sich vergeblich Verwendung für seinen zweifachen Drang, neue Länder zu entdecken und dort sein Leben in kräftiger Ordnung aufzubauen. Einer der Jüngstgcborenen einer zahlreichen Familie, fand er nicht genug freien Spielraum für die Betätigung seiner Kraft und seines Willens. Seine Brüder und Schwestern hatten, ehe noch an ihn die Reihe gekommen, alle umliegenden Gebiete besetzt, so daß er zu ersticken, von Hunger bedroht zu sein glaubte, nach dem weiten Feld suchte, das er bebauen und dem er sein Brot abgewinnen konnte. Wo kein Raum mehr war, da waren auch keine Lebensmittel mehr, und er wußte zuerst nicht, wohin er gehen sollte, er zögerte und tastete monatelang. Sein frühes Lachen klang nach wie vor durchs Haus, er belästigte weder Vater noch Mutter mit der Sorge um seine Zukunft, denn er fühlte bereits die Kraft in sich, sie sich selber zu schaffen.
    Auf dem Hofe gab es keinen Raum für Nicolas, da Gervais und Claire den Platz ganz ausfüllten. In der Fabrik genügte Denis, herrschte als tüchtiger, arbeitsamer Chef, ohne daß irgend etwas einen Jüngeren berechtigte, eine Teilung zu begehren. In der Mühle hatte Grégoire eben erst festen Fuß gefaßt, und sein Reich war noch so klein, daß er nichts davon abtreten konnte. Es blieb nur noch Ambroise, dessen Angebot, ihn zu sich zu nehmen, er für einige Monate annahm, bloß zum Versuche, um sich mit dem Getriebe des Großhandels vertraut zu machen. Das Vermögen Ambroises wuchs ins Große, seitdem der alte Onkel du Hordel gestorben war und ihm sein Kommissionshaus vermacht hatte, dessen neuer Herr seine Geschäfte von Jahr zu Jahr mehr über alle Gebiete der Erde ausbreitete. Durch seinen glücklichen Unternehmungsgeist, durch seinen weiten Blick, der alle Ländergrenzen überflog, bereicherte er sich immer mehr an den Erträgnissen der ganzen Welt. Und Nicolas, der sich in den weiten Magazinen Ambroises wieder beengt fühlte, wo die Reichtümer ferner Länder, den verschiedensten Himmelsstrichen entstammt, aufgestapelt waren, entdeckte endlich seinen Beruf. Eine ferne Stimme rief ihn dahin, in jene gewaltigen, unbekannten, unbebauten Gebiete, die noch zu bevölkern, urbar zu machen, mit dem Samen künftiger Ernten zu besäen waren.
    Zwei Monate lang sagte Nicolas nichts von dem Entschlüsse, den er nun in sich reifen ließ. Er war eine verschlossene Natur, wie alle tatkräftigen Menschen, die überlegen, ehe sie handeln. Fortgehen mußte er, da es am heimatlichen Herde für ihn weder Raum noch Sonne gab; aber allein fortgehen, hieß dies nicht unvollständig, unfruchtbar fortgehen, für die große Aufgabe, eine neue Erde zu bebauen und zu bevölkern? Er kannte in Janville ein junges Mädchen von neunzehn Jahren, Lisbeth Moreau, groß, kräftig, deren blühende Gesundheit und ernster Arbeitsfleiß sein Herz gewonnen hatten. Gleich ihm fühlte sie sich beengt in dem Winkel, in den das Schicksal sie einschloß, lechzte sie nach der freien Luft der Ferne. Als

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