Fruchtbarkeit - 1
stillen Plan, ihn für sich zu behalten, dieses späte Geschenk des Schicksals, diesen Letztgeborenen, der so gut und so schön war. Hatten sie nicht alle andern hergegeben? War dieser Egoismus ihrer Liebe nicht verzeihlich, daß sie einen für sich, ganz für sich bewahren wollten, der sich nicht verheiraten würde, der nichts tun sollte, der nur zu dem köstlichen Zwecke auf die Welt gekommen wäre, von ihnen geliebt zu werden und sie zu lieben? Es war der Traum ihres Alters, der Teil, den sie, als Belohnung für ihre reiche Nachkommenschaft, aus dem gefräßigen Leben retten wollten, das alles gibt und alles wieder nimmt.
»Hör einmal, Benjamin,« sagte Ambroise plötzlich, »da du dich für unsern kühnen Nicolas interessierst, willst du Neues von ihm hören? Ich habe vorgestern Nachricht von ihm bekommen. Und es ist wohl auch nur billig, daß ich von ihm spreche, denn er ist der einzige der Schar, wie Mama sagt, der nicht hier sein kann.«
Benjamin zeigte sogleich ein leidenschaftliches Interesse. »Wirklich, er hat geschrieben? Was sagt er? Was macht er?«
Der tiefe Eindruck, den die Auswanderung Nicolas’ nach dem Senegal auf Benjamin gemacht hatte, wirkte noch immer nach. Er war damals noch nicht zwölf Jahre alt gewesen, und es war nun beinahe neun Jahre her; aber der Vorgang stand noch immer lebhaft vor seiner Seele, mit dem Abschied für immer, mit dem Ausflug in die Unendlichkeit der Zeit und der Zukunftshoffnung.
»Wie ihr wißt,« erzählte Ambroise, »bin ich mit Nicolas in Geschäftsverbindung. Oh, wenn wir in unsern Kolonien einige Leute von seiner Klugheit und seiner Tatkraft hätten, so würden wir gar bald die Reichtümer, die in jenen jungfräulichen Ländern unbenutzt schlummern, scheffelweise einheimsen. Ich wenigstens – wenn mein Vermögen sich mehrt, so ist es, weil ich meine Scheuern mit diesen Reichtümern fülle. Unser Nicolas hat sich also in Senegal niedergelassen, mit seiner Lisbeth, einer Gefährtin, wie er sie brauchte. Mit den wenigen tausend Franken, die sie hatten, eröffneten sie ein Handlungshaus, und ihr Geschäft blühte. Aber ich fühlte wohl, daß ihnen das Feld noch immer viel zu eng sei, daß sie danach verlangten, mehr Raum zu gewinnen, mehr neue Erde zu erobern. Und plötzlich teilt mir Nicolas mit, daß er nach dem Sudan geht, in das eben erst eröffnete Tal des Niger. Er nimmt seine Frau mit, die vier Kinder, die er schon hat, und so ziehen sie aufs Geratewohl auf Eroberung aus, als kühne, tatenlustige Pioniere, die von dem Drang getrieben sind, eine neue Welt zu gründen. Mir hat das ein wenig den Atem verlegt, denn es war eine wahre Tollheit. Aber er ist unerschrocken, unser Nicolas, und mich hat schließlich diese lebendige Tatkraft begeistert, die prächtige Zuversicht dieses tapferen Bruders, der so nach einem unbekannten Lande auszieht, mit der ruhigen Sicherheit, daß er es unterjochen und bevölkern wird.«
Ein Schweigen folgte. Ein Hauch hatte über sie hingeweht, der Hauch aus der Unendlichkeit da drüben, aus dem Geheimnis der jungfräulichen Ebenen. Und die Familie folgte im Geiste dem Kinde, einem der ihrigen, der auszog, um die unter dem weitgespannten Himmel sich dehnende Wüste mit der menschlichen Saat zu besäen.
»Ach,« sagte Benjamin leise, seine schönen großen Augen geöffnet und weit damit hinausschauend, bis ans Ende der Erde, »ach, wie glücklich ist er, daß er andre Flüsse, andre Wälder, andre Sonnen sehen kann!«
Aber Marianne erschauerte. »Nein, nein, mein Kind, es gibt keine andern Flüsse als die Yeuse, keine andern Wälder, als unsre Wälder von Lillebonne, keine andre Sonne, als die Sonne von Chantebled. Komm, umarme mich noch einmal, umarmen wir uns alle noch einmal, und ich werde wieder gesund werden, und wir werden uns nie mehr voneinander trennen, nie mehr!«
Es gab wieder allseitige Umarmungen unter frohem Lachen. Es war ein großer Tag, der Tag eines Sieges, des entscheidendsten, desjenigen, den die Familie über sich selbst davongetragen hatte, indem sie nicht zuließ, daß die Zwietracht sie zersetze. Fortan war sie gebietend, unüberwindlich.
In der Abenddämmerung dieses Tages saßen Mathieu und Marianne wie am Abend vorher Hand in Hand am Fenster, von wo aus sie den Besitz sich bis zum Horizont hin erstrecken sahen, dem Horizont, hinter welchem Paris seinen gewaltigen Atem, die schwarzgraue Wolke seiner Riesenesse emporhauchte. Aber wie wenig glich dieser frohe Abend jenem andern, welches Glücksgefühl
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