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Frühling der Barbaren

Frühling der Barbaren

Titel: Frühling der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Lüscher
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Kartenmaterial, und das Auto sei überflüssigerweise auch noch mit einem GPS ausgerüstet. Saida blieb dabei. Sanford fühlte sich bevormundet. Preising schaltete sich schlichtend ein, es sei doch eventuell von Vorteil, einen Landeskundigen zur Seite zu haben. Ja, antwortet Sanford, das wäre es sehr wohl, aber Rachid sei der Bademeister des Resorts, ein netter junger Mann, aber in einem Vorort von Sfax aufgewachsen und extrem mitteilungsbedürftig. Saida blieb dabei. Rachid werde sie begleiten, andernfalls würde sie ihnen den Pick-up des Hotels nicht überlassen. Sanford begehrte auf, er sei durchaus in der Lage, auf sich selbst aufzupassen. Saida schnitt ihm das Wort ab: «I do not care what you do, Professor, but Mister Preising is in my responsibility. Take Rachid with you or join your family at the pool.» Sanford verschlug es für einen Moment die Sprache, Zeit genug für Saida, Preising einen schönen Tag zu wünschen und zu gehen.
    Er warf seine Zeitung auf den Tisch und verstieg sich aus lauter Ärger zur chauvinistischen These, die traditionelle Rolle der Frau in der muslimischen Gesellschaft müsse vielleicht aus westlicher Perspektive doch neu überdacht werden. Preising war ganz beeindruckt. Dieses Durchsetzungsvermögen, diese Schärfe. Und sie fühlte sich für ihn verantwortlich. Irgendwie gefiel ihm das. Er würde sich mit dem Engländer und dem Bademeister aus Sfax auf diese abenteuerliche Exkursion aufmachen, wohl wissend, dass Saida den ganzen Tag, während sie mit den Vorbereitungen für das Hochzeitsbankett beschäftigt sein würde, in einer kleinen Ecke ihrer Aufmerksamkeit sich ein wenig um ihn sorgen würde. Er war schon voller Vorfreude, wenn er sich ihre sorgfältig hinter ihrer Strenge verborgene Erleichterung ausmalte, wenn sie ihn staubbedeckt in der Dämmerung wiederauftauchen sehen würde.
    Als Preising, angetan mit sandfarbener Hose – er hatte zur Sicherheit jene mit den meisten Taschen gewählt, obschon ein unansehnlicher Rosenwasserfleck beide Knie zierte – und dem schmalkrempigen Hütchen eines Fliegenfischers, am Toyota Pick-up ankam, war Rachid, ein schmalhüftiger Mann mit breiten Schultern, gerade dabei, eine Kühlbox auf der Ladefläche zu verstauen. Er war bester Laune, schien sich auf den Ausflug zu freuen. Sanford ließ sich missmutig die Schlüssel aushändigen und wies fragend auf die Kühlbox. «Proviant», gab Rachid zur Auskunft und öffnete den Plastikdeckel, als präsentiere er einen Wurf junger Welpen. Die Kiste war randvoll mit gefüllten Fladenbroten, Styroporverpackungen mit Salaten, Süßspeisen und flaschenweise Wasser. Es hätte für eine größere Expedition gereicht. Sanford, der sich ein selbst geschmiertes Brötchen vom Frühstücksbuffet und zwei Flaschen Wasser in seinen Rucksack gesteckt hatte, schnaubte verächtlich und setzte sich hinters Steuer. Preising zwängte sich mit Rachid auf den schmalen Doppelsitz auf der Beifahrerseite.
    «Doch gerade als Sanford losfahren wollte», fuhr er in seiner Erzählung fort, «bat Rachid, einen Moment zu warten, er habe seine Sonnenbrille vergessen. Sanford ließ den Motor laufen und blickte grimmig aus dem Fenster, während Rachid nach seiner Brille lief. Plötzlich blitzte es schelmisch in seinen Augen. ‹Schließen Sie die Tür›, forderte er mich auf. Kaum war ich seiner Aufforderung nachgekommen, gab er zu meiner Überraschung Gas und preschte durch den Lieferanteneingang auf die schnurgerade Sandpiste. ‹Aber Rachid!›, warf ich ein und blickte über meine Schulter durch das schmale Fenster der Kabine auf den verdatterten Rachid, der bald hinter einer aufsteigenden Staubwolke verschwand. Sanford gebärdete sich wie ein Teenager. Schrie, johlte und hieb mit der Faust triumphierend an die Wagendecke. Ich muss gestehen, ich ließ mich anstecken und freute mich lauthals mit ihm über unser kleines Schelmenstückchen, warf jedoch mit schlechtem Gewissen noch einen Blick zurück und erschrak nicht schlecht, als mit breiter Brust voran, die bis zu den Fingerspitzen gestreckten Arme wie Messer den Staub durchschneidend, ein sprintender Rachid hinter uns auftauchte und offensichtlich schnell an Boden gewann. ‹Gas geben, Gas geben!›, schrie ich, ‹er holt auf!› Sanford stieß einen Fluch aus, der mich an meinen Bekannten, den Völkerkundler mit der scharfen Zunge erinnerte, warf einen Blick in den Rückspiegel, schaltete hoch und ließ den Motor aufheulen. Es schien, als nehme er die Sache nun

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