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Frühling der Barbaren

Frühling der Barbaren

Titel: Frühling der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Lüscher
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ließ sich Preising vom Selbstbewusstsein der anwesenden Derivathändler und strukturierten Produktentwicklerinnen derart einschüchtern?
    Ganz einfach, dachte ich und hob eine Handvoll Kieselsteine auf, weil Preising nicht mit Geld umgehen konnte. Nicht etwa, dass es ihm durch die Finger rann, dass er es verprasste, nein, im Gegenteil, er gab kaum etwas davon aus, und gerade deshalb war sein Umgang mit Geld verantwortungslos.
    Er fürchtete sich vor Geld, so, wie er sich vor allen Werkzeugen fürchtete. Nicht davor, dass er sich aus Versehen in den Finger schneiden oder etwas einzwicken könnte. Preising fürchtete die Wirkkraft der Werkzeuge – er erinnerte sich mit Schaudern, wie er beim Skifahren in Les Diablerets zwei Männern dabei zugesehen hatte, wie sie für einen neuen Schlepplift ein armdickes Stahlkabel mit einer, wie ihm schien, winzigen Maschine, die eine ungeheure Hebelwirkung entfaltete, durchtrennten –, und er glaubte zu wissen, dass das Geld letzten Endes nichts anderes als ein besonders wirkmächtiges Werkzeug war – nichts als ein Werkzeug zur Verwirklichung von Größerem, ja sogar Höherem, wie mir Prodanovic letzten Freitag erklärte, als er Preising besuchte und ich ihm bei dieser Gelegenheit vorgestellt wurde.
    Preising war natürlich nicht bereit, sich allzu viele Gedanken über das Größere und Höhere zu machen, zumindest war er nicht bereit, über das Gedankenmachen hinauszugehen, er war nicht bereit, die damit verbundene Verantwortung auf sich zu nehmen, und unterlief die an ihn gestellten Erwartungen damit, dass er sich einfach damit begnügte, reich zu sein, ich vermute, sogar stinkend reich, und ansonsten das Leben eines Durchschnittsbürgers führte, mit Ausnahme seiner Haushälterin, die er sich leistete, weil sie ihm viele Entscheidungen des Alltags abnahm.
    Aber letztlich, so dachte ich, ist das mit dem Gedankenmachen so eine Sache. Ich bezweifelte nämlich, dass sich Prodanovic damit besonders viel Mühe machte. Eine Sache, die ich ihm unterstellte, obwohl ich ihn nur aus Preisings Erzählungen und einer kurzen Begegnung im Schatten der gelben Mauer kannte. Aber damit tat ich ihm vermutlich kein großes Unrecht, sondern reihte ihn nur ein in die Masse seiner Mitleistungsträger, Großentscheider und Vielverdiener, die alleweil bereit waren, auf Nachfrage zu beteuern, Geld sei nicht ihr Antrieb, sie würden ja nicht Geld um des Geldes willen verdienen, als würde ihnen irgendjemand absurderweise unterstellen wollen, sie würden ihr Geld in einen quadratischen Speicher füllen und ihren Bürzel darin tunken. Nein, nein, Geld sei ja nur Mittel zum Zweck, es würde Möglichkeiten eröffnen, Möglichkeiten, Großes zu tun, wobei sich dann die Größe der Taten meistens doch in Quadratmetern Wohnfläche in Cap Ferrat oder Rumpflängen in St. Barth manifestierte oder bestenfalls im Zukauf noch einer BH-Bügelfabrik in Bangladesch, die noch mehr Geld abwarf, mit dem man «Dinge in Bewegung setzen konnte», wie sie sich gerne ausdrückten. Dass Geld nicht für sich selbst steht, lag in der Natur der Sache, das war die Idee dahinter. Warum nur versuchen sie, uns das als ihre eigene Entdeckung zu verkaufen, und warum glaubten sie, würde das irgendetwas besser machen?
    Nun hatte ich mich in Rage gedacht und hielt es, auf meinem Gartenstuhl sitzend, nicht mehr länger aus. «Kommen Sie, weiter», sagte ich zu Preising in rüdem Ton, ließ die Kieselsteine fallen und nahm unseren Gang wieder auf.
    Preising, der meine Aufforderung nicht auf unseren Spaziergang, sondern auf seine Geschichte bezog, bemühte sich, den Faden wieder aufzunehmen.
    «Nun, jedenfalls», fuhr er fort, «schien Pippa in etwas melancholischer Stimmung, und ich versuchte, sie daraus zu befreien, indem ich nachfragte, welches Gedicht sie denn für die Hochzeit ihres Sohnes ausgewählt habe. Es handelte sich um ein längeres Poem eines mir damals unbekannten und, wie mir schien, etwas obskuren amerikanischen Dichters namens Snyder, eines Beatpoeten, Zen-Anhängers und Mitbegründers der amerikanischen Tiefenökologie. Eine recht eklektische Mischung, wie du zugeben musst. Jedenfalls bat ich sie, da mir das Gedicht nicht bekannt war, es mir doch vorzutragen, was sie, nachdem sie sich eine geraume Weile geziert hatte, dann auch in wunderbarstem britischen Englisch tat.»
    Er machte einige schnelle hüpfende Schritte, trat, den Weg versperrend, vor mich hin, holte tief Luft und deklamierte getragen:
    « The Axe Handle
    by

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