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Frühling der Barbaren

Frühling der Barbaren

Titel: Frühling der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Lüscher
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gleichermaßen aufgedrehten Kinder, ein achtjähriger Bengel mit Bügelfalte und Pennyloafers in Größe 34, mit einem Crocketschläger aus Versehen zwei Zehen zertrümmert hatte.
    Das weiße Hemd mit den Rosenwasserflecken am Rücken roch etwas streng, was daran lag, dass Preising bei seinem Versuch, Saida für Nabokovs lepidopterologische Spaziergänge oberhalb des Genfer Sees zu interessieren, recht ins Schwitzen geraten war. Er unternahm einen halbherzigen Versuch, dem mit der Applikation einer größeren Menge Rasierwasser unter den Achseln entgegenzuwirken, und umschiffte die schwierige Frage nach dem zweiten Hemdknopf, indem er während des Zuknöpfens versuchte, im Kopf die Anzahl der Circonflexe in der Originalfassung von Prousts Madelainesequenz zu ermitteln, eine Sequenz, die er sich die Mühe gemacht hatte, auswendig zu lernen, weil er im Laufe seines Lebens die Erfahrung gemacht hatte, dass Schmelzbrötchen und, vielleicht etwas allgemeiner, mit Nahrungsmitteln verknüpfte Kindheitserinnerungen in so mancher gesellschaftlichen Situation als beliebtes Gesprächsthema aufkamen.
    Derart angetan trat er also aus dem Zelt und ging mit gestrafften Schultern durch den Palmenhain auf den Lärm zu, der von der Poolbar herüberschallte, an der sich die Gesellschaft mit Champagner und Garnelentempura an Harrissamayonnaise für die bevorstehende Zeremonie stärkte. Schon von Weitem löste sich aus dem vielstimmigen Geschwätz und Gelächter ein einzelnes meckerndes Lachen, welches Preising mühelos einem Mann zuordnen konnte, der ihm schon früh aufgefallen war, einem Mann, der ein paar Jahre älter war als der Rest und sich von den anderen auf den ersten Blick dadurch unterschied, dass er sich als Einziger einen deutlichen Bauchansatz leistete, den er selbstbewusst unter seiner breiten Brust zur Schau stellte. Preising hatte gehört, wie er von den jüngeren «Quicky» gerufen wurde, und es schien ihm, dass sie ihm trotz des äußerst albernen Namens einen gewissen Respekt entgegenbrachten und es vermieden, ihm kumpelhaft auf die Schultern zu schlagen, es aber im Gegenzug wie eine Auszeichnung hinnahmen, wenn Quicky sie mit einem seiner großzügig verteilten angedeuteten Leberhaken bedachte. Dem Personal erteilte er in einem bellenden rudimentären Arabisch Befehle. Quicky, noch keine vierzig, wie Preising schätzte, hatte in unbeobachteten Momenten ein müdes Gesicht und legte ansonsten eine aggressive Virilität an den Tag, die Preising unangemessen sexuell und schmuddelig vorkam. Eine Hyäne unter Tigerbabys hatte Pippa gedacht, ein Oberarschloch unter gewöhnlichen Arschlöchern, hatte Sanford gesagt, als er ihn mit zwei Bierflaschen in der Hand eine Arschbombe hatte vorführen sehen.
    «Casual», so klärte mich Preising auf, «bedeutete in jenen Kreisen offensichtlich, dass man die Krawatte weg- und das Jackett offen ließ. Die jungen Männer trugen schmale, maßgeschneiderte Anzüge und helle Hemden, nicht anders, als sie sich, eben mit Ausnahme der Krawatten und offenen Knöpfe, tagtäglich zur Arbeit kleideten. Die Mädchen hatten leichte Seidenkleider deutscher Modehäuser an, deren breite Ausschnitte wie zufällig über ihre knochigen Schultern glitten und dabei Schlüsselbeine entblößten, die mich an geröstete Hühnerkarkassen denken ließen. Die Säume», so betonte Preising, «endeten deutlich über dem Knie, welche in der Regel recht spitz, aber von der Sonne zart gebräunt waren.
    Pippa, die in einem ärmellosen Leinenkleid, das geschickt die Farbe ihrer Augen aufgriff und einen kräftigen Kontrast zu ihren ergrauten Haaren bildete, bezaubernd aussah, stellte mich den Ibbotsons vor, ein reizendes Ehepaar, mit denen ich mich im Schatten eines großen Schirms, etwas abseits vom großen Trubel, aufs Lebhafteste über Liverpool unterhielt, während Mary Ibbotson viel Perrier trank und wenig sagte und ihr Mann, ein recht schweigsamer Gewerkschafter alter Schule, dem die Hitze zu schaffen machte, zögerlich am Rosé-Champagner nippte und seine blasse Frau zu einem Garnelentempura überreden wollte, von dem er fürsorglich die würzige Mayonnaise abgewischt hatte. Es sei, so versprach er ihr, mit dem für die Arbeiterklasse typischen gesunden Pragmatismus, eigentlich auch bloß Fish and Chips, nur ohne Chips. Und dann war es mir endlich beschieden, Marc kennenzulernen, der unter großem Jubel seiner Freunde im dunklen Anzug und leger aufgeknöpften Hemd an der Poolbar erschien. Leider hatte er von

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