Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frühling der Barbaren

Frühling der Barbaren

Titel: Frühling der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Lüscher
Vom Netzwerk:
verführerische Braut abzugeben.
    Jenny hatte den Kamelführer, der das Tier am Zügel führte, gezwungen, sein Rooney-Trikot gegen ein Kostüm einzutauschen, welches eine Handelssaalpraktikantin, die sich davon vergeblich eine Einladung zur Hochzeit erhofft hatte, nach Abbildungen von Tuareg-Reitern aus einem Reisebürokatalog genäht hatte. Jenny war zufrieden. Kellys schlichtes weißes Kleid hob sich wunderbar gegen die indigofarbenen Tücher ab, genau der Effekt, den sie beabsichtigt und dessentwegen sie auch die Hinweise der Praktikantin, es gebe in Tunesien keine Tuareg, als irrelevant abgetan hatte.
    Der falsche Wüstenkrieger, dem die ungewohnte Kopfbedeckung das Sichtfeld einschränkte, stolperte bei dem Versuch, sein Reittier die zwei Stufen auf die Bühne zu führen, über die viel zu langen indigoblauen Säume und verschreckte dabei das Kamel derart, dass es sich weigerte, auch nur einen weiteren Schritt zu tun, und auch nicht dazu zu bewegen war, sich in typischer Manier niederzuknien, um der Braut einen würdigen Abstieg zu ermöglichen. Der Kamelführer redete dem Tier gut zu und zog zunehmend ungeduldiger am Zügel, während Quicky begann, dem Kamel in die Kniekehlen zu treten. Kelly machte dem unwürdigen Spektakel ein Ende, in dem sie beherzt von dem hohen Höcker hinuntersprang, in die Arme ihres bereitstehenden Bräutigams, was zu einem zwar ungeplanten, aber ungemein romantischen Augenblick führte, der Kenneth Ibbotson dazu verleitete, die Arme hochzureißen und «bring her home, son» zu brüllen.
    «Quicky hielt eine längere Rede, von der ich wenig verstand. Aber das», sagte Preising, «erstaunte mich nicht, denn er bediente sich dafür genau jenes Duktus, den ich von den Präsentationen der Unternehmensberater kannte, für die unsere Firma auf Wunsch von Prodanovic viel Geld ausgibt und denen zu folgen mir auch immer so schwerfällt. Es war von Merger die Rede und von Win-win-Situationen, von Gewinn und Bonus, von Teamwork und Investitionen in die Zukunft. Und das Ganze garnierte Quicky eloquent mit kämpferischen Kriegsmetaphern und Versatzstücken fernöstlicher Weisheiten. Mut und Durchhaltevermögen, Yin und Yang, Wille und Demut, die Kraft des fließenden Wassers, die Weisheit der Steine.
    Dann verlasen die engsten Freunde des Paares emphatisch formulierte Wünsche, bei denen es viel um Gesundheit und Glück ging, aber auch Immobilienbesitz und Führungspositionen in Singapur eine Rolle spielten, und übergaben die Zettel, auf die sie die Wünsche geschrieben hatten, dem Feuer. Quicky erklärte die beiden zu Mann und Frau. Sie küssten sich. Ringe wurden getauscht. Dann folgte ein weiteres Ritual, bei dem wir uns alle an den Händen fassen mussten und einen Kreis um das Brautpaar bildeten. Du weißt, dass ich so etwas nicht mag. Wir riefen ihnen etwas zu, ich habe vergessen, was, dafür erinnere ich mich an die trockene Hand eines jungen Mannes, der furchtbar laut schrie, und an die winzige Hand einer winzigen Norwegerin, die viel Geld mit steigenden und fallenden Getreidepreisen machte und einen zarten Duft nach Ringelblumen und Avocado an meinen Fingern hinterließ. Das alles dauerte ziemlich lange, und es schien mir, als freute sich sogar Mary Ibbotson, als wir endlich zum Dinner schritten.»
    «Der Koch, ein junger wilder Kärntner, in Tokyo und Sydney ausgebildet», begann Preising die Schilderung des Abendessens, die ich sogleich unterbrach, denn unser Spaziergang an der frischen Luft hatte mich hungrig gemacht, und ich war nicht gewillt, einen ausführlichen Bericht über die Menüfolge zu hören. Zumal ich mir in etwa vorstellen konnte, was ein junger, wilder Kärntner, der in Tokyo und Sidney gelernt hatte, in einem tunesischen Wüstenresort zu einer englischen Hochzeit, bei der Geld keine Rolle spielte – oder die allergrößte –, auftischen würde. Louisiana-Flusskrebse in Grünteegelee an Dattelcouscous; Baklava von Akazienhonig, Alba-Trüffeln, Stopfleber und tasmanischen Macadamianüssen oder Tafelspitz vom Wagyu-Rind an Süßkartoffelgröstl und ähnliche internationalisierte Späße. Preising schien etwas enttäuscht, aber er fügte sich meinem Wunsch, so gut er konnte.
    «Wie du willst», sagte er, «ich werde das Dinner überspringen. Jedenfalls war es, nun ja, wie soll ich sagen … wild, das trifft es am besten. Speisen aus aller Welt. Nur Delikatessen. Ganz Ausgefallenes. Nun, ich werde nicht ins Detail gehen. Und wunderbar angerichtet. Aber ich bin ja eher ein

Weitere Kostenlose Bücher