Frühstück im Bett
Ihres Charakters.«
»Da er tot war, hat er’s nicht gemerkt.« Sugar Beth stand von der Bank auf. »Wie ich vorhin festgestellt habe, wurde das Foto auf dem Schutzumschlag Ihres Buchs vor meinem Bahnhof geknipst. Dafür verlange ich eine Gebühr. Ein paar Tausend würden genügen.«
»Verklagen Sie mich.«
Sie schob ein rostiges Rohr beiseite. »Was genau machen Sie hier?«
»Natürlich schwelge ich in meiner Schadenfreude. Was dachten Sie denn?«
Am liebsten hätte sie ein abgebrochenes Stuhlbein ergriffen und auf Byrnes Kopf geschmettert. Doch er würde zweifellos zurückschlagen, und deshalb zwang sie sich zu praktischen Überlegungen. »Wie gut kannten Sie meine Tante?«
»So gut, wie ich’s wollte«, erwiderte er, wanderte zum Fahrkartenschalter und inspizierte ihn. Der Schmutz schien ihn nicht zu stören. »Dank ihrer historischen Kenntnisse war sie eine wertvolle Informationsquelle, aber ziemlich engstirnig. Ich mochte sie nicht besonders.«
»Was ihr sicher den Schlaf geraubt hat …«
Er strich über einen der eisernen Gitterstäbe. Dann starrte er den Schmutz auf seiner Fingerspitze an, zog ein blütenweißes Taschentuch hervor und wischte ihn weg. »Die meisten Leute glauben, das Gemälde würde gar nicht existieren.«
Wieso er wusste, wonach sie suchte, brauchte sie nicht zu fragen. Inzwischen würden sämtliche Stadtbewohner den Inhalt von Tallulahs Testament kennen. »Es existiert.«
»Ja, das vermute ich auch. Und wie sind Sie zu dieser Überzeugung gelangt?«
»Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Kram.« Sie zeigte auf einen Kistenstapel. »Dahinten liegt ein toter Vogel. Machen Sie sich nützlich und schaffen Sie ihn raus.«
Byrne spähte an den Kisten vorbei, traf aber keine Anstalten, Sugar Beths Wunsch zu erfüllen. »Ihre Tante war verrückt.«
»Klar, das liegt in der Familie. Erwarten Sie bloß nicht, ich würde mich dafür schämen. Die Yankees sperren geisteskranke Verwandte weg. Hier im Süden setzen wir sie auf Paradewagen und führen sie mitten durch die Stadt. Sind Sie verheiratet?«
»Verwitwet.«
Hätte sie sich nicht gebessert, würde sie ihn fragen, ob die arme Frau an seinem perversen Humor gestorben sei. Welches vernünftige weibliche Wesen würde sich an einen so unmöglichen Zyniker binden? Dann dachte sie an die schmachtenden Blicke, die ihm die High-School-Mädchen zugeworfen hatten, selbst wenn sie seinem messerscharfen Tadel zum Opfer gefallen waren. Frauen und schwierige Männer. Glücklicherweise hatte sie mit dieser unseligen Tradition gebrochen.
Byrne beendete die Inspektion des Fahrkartenschalters. »Erklären Sie mir, warum Sie das Begräbnis Ihres Vaters boykottiert haben.«
»Wieso interessiert Sie das?«
»Weil ich Schriftsteller bin. Was in einer narzisstischen Seele vorgeht, fasziniert mich.«
»O Gott, wenn ich so hehre Worte höre, wird meinem Spatzenhirn ganz schwindlig.«
»Sie waren hochintelligent …«, seufzte er und schaute zu einem Deckenbalken hinauf. »Leider haben Sie sich geweigert, Ihren Verstand sinnvoll zu nutzen.«
»Spielen Sie schon wieder auf die Modezeitschriften an?«
»Das Begräbnis zu versäumen – das war schon ein starkes Stück.«
»Damals hatte ich einen Termin beim Friseur.«
Abwartend verschränkte er seine Arme. Aber über jenes schreckliche Jahr wollte sie nichts erzählen. So verheißungsvoll hatte es begonnen. Sie war die beliebteste Studienanfängerin an der Ole Miss gewesen. Vom ereignisreichen Campus-Leben überwältigt, hatte sie die Gorgonien vergessen, ihre Anrufe ignoriert und sie versetzt, wenn sie zu Besuch gekommen waren. Eines Januarmorgens teilte ihr Griffin telefonisch mit, Diddie sei mitten in der Nacht an einer Gehirnblutung gestorben. Sugar Beth war untröstlich und glaubte, nichts Schlimmeres könnte ihr widerfahren, bis ihr Vater sechs Wochen später verkündete, er würde seine langjährige Geliebte heiraten. Von seiner Tochter erwartete er, sie würde bei der Hochzeit in der ersten Kirchenbank sitzen. Wütend schrie sie ins Telefon, sie würde ihn verabscheuen und nie wieder einen Fuß nach Parrish setzen. Obwohl er sie zu enterben drohte, hielt sie ihr Wort.
Seinen Hochzeitstag verbrachte sie mit Darren Tharp im Bett und versuchte, ihren Kummer mit schlechtem Sex zu betäuben. Bald danach sah Griffin die Papiere seiner verstorbenen Frau durch, fand Sugar Beths Geständnis, und wenig später wusste die ganze Stadt, was sie Colin Byrne angetan hatte. Schon vorher war sie vielen
Weitere Kostenlose Bücher