Frühstückspension: Kriminalroman
mit Tomke trinken.
Reinhard öffnet die Augen, fährt sich mit den Händen über das Gesicht und setzt sich gerade hin:
»Also in Ordnung. Lassen wir das ganze Theater und fahren gleich nach Hause. Ich muss hier nicht noch einen Tag bleiben.«
»Das brauchst du auch nicht.«
Ich warte einen kleinen Augenblick. Betrachte das kahle Geflecht der Bäume. Der Himmel behält auch am Abend am Meer eine ganz besondere Helligkeit.
»Ich werde mich scheiden lassen.«
Die Worte kommen ruhig und leicht über meine Lippen.
Ich sehe weiter in den Himmel und warte auf eine Reaktion. Ich werde sie ertragen. Aber es kommt keine. Reinhard atmet nicht schneller, er verändert nicht seine Körperhaltung. Er antwortet einfach nicht. Dann holt er wortlos die Flasche Sekt aus einer Tasche, entkorkt sie und gießt sich eines der mitgebrachten Gläser voll.
Nicht zu antworten ist seine übliche Kriegsführung. Ich bin sie gewohnt, nur nach dieser Ankündigung habe ich nicht mit ihr gerechnet.
»Ich weiß nicht, ob du mich verstanden hast«, setze ich noch einmal an. »Ich werde mich scheiden lassen.«
Reinhard nimmt einen Schluck Sekt und lässt ihn unnötig lange im Mund hin und her gehen. Sein ungeniertes Schmatzen ekelt mich an. Endlich schluckt er mit einem harten Geräusch die Flüssigkeit hinunter und sagt: »Selbstverständlich habe ich dich verstanden. Zumindest akustisch. Ansonsten mache ich mir Sorgen. Haben sie nach dem Unfall eigentlich deinen Kopf untersucht?«
Eine Hitzewelle treibt mir das Blut ins Gesicht. Ich sehe zur Seite und versuche, mich zu beruhigen.
Was habe ich erwartet? Ein angenehmes Gespräch, und er würde mich gehen lassen? Hätte eventuell sogar Verständnis?
Dann müsste ich mich nicht von ihm scheiden lassen.
»Selbstverständlich haben sie meinen Kopf untersucht«, antworte ich so kühl wie möglich. »Sogar sehr gründlich und in mehreren Ebenen. Und ich kann dir versichern, ich habe selten so klar gedacht wie in diesem Augenblick.«
Meine Stimme hat nicht vibriert. Ich wende meinen Kopf wieder in Reinhards Richtung, ohne ihn zu sehen.
»Ich werde uns jetzt zur Pension zurückfahren. Du kannst dann den nächsten Zug nehmen. Oder auch nicht. Wie du willst. In zwei Tagen werde ich auch nach Hannover kommen. Dann können wir alle Scheidungsformalitäten erledigen.«
Reinhard stößt ein raues Lachen aus.
»Wie großzügig von dir. Hast du keine Angst, dass dort eine andere Frau auf mich warten könnte?«
»Nein«, sage ich und die Hitze in meinem Körper lässt nach.
»Stell dir vor, es ist mir gleichgültig.«
Der Schweiß auf meiner Stirn verdunstet und lässt eine angenehme Kühle auf der Haut zurück. Dafür beginnt sich Reinhards Gesicht dunkel zu verfärben. Vor seiner Wut habe ich mich immer gefürchtet. Sie hat mich regelrecht in Panik versetzt. Dabei hat er nie getobt oder mich angeschrien. Niemals. Das wäre leichter gewesen.
Er hat einfach nicht mehr mit mir gesprochen. Mich nicht beachtet. Tagelang. Und ich habe meine ganze Energie darauf verwendet, ihn aus dieser Stimmung wieder herauszuholen.
Ich bin ihm nachgelaufen, und mein einziges Ziel war, wieder Nähe aufzubauen. Die hat er mir dann irgendwann gewährt. Körperlich. Wir haben miteinander geschlafen, aber kein Gespräch geführt.
Reinhard schenkt sich das zweite Glas Sekt ein und starrt schweigend durch die Windschutzscheibe an mir vorbei. Soll er. Damit quält er mich nicht mehr.
»Ich fahre jetzt«, sage ich und meine Hand umschließt den Zündschlüssel.
Bevor ich starten kann, sagt Reinhard: »Warte einen Augenblick.«
Ich ziehe meine Hand zurück. Dass er mit mir spricht, kommt unerwartet. Ich habe mit keinem Wort mehr von ihm gerechnet. Einen Augenblick warten, wiederhole ich in Gedanken und versuche, mich auf die nächste Szene einzustellen. Dafür fehlt mir die Vorstellungskraft, weil wir noch nie eine ernsthafte Auseinandersetzung hatten. Vielleicht will ich es mir nicht vorstellen, weil ich Angst habe, dass er plötzlich mit Gefühlen kommen könnte. Gefühle, die mich festhalten sollen.
Reinhard lässt mich warten. Er trinkt noch einen Schluck, richtet sich dann auf und legt seinen Arm über meine Nackenstütze. Ich spüre, wie sich mein Körper versteift.
»Gut, ich versuche zu verstehen«, sagt er leise.
»Vor einer Woche hast du weinend vor mir gestanden. Nein, das ist nicht richtig ausgedrückt. Du warst am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Du hast gebettelt, gefleht und mich fast geschlagen.
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