Frühstückspension: Kriminalroman
versteife mich. Ihre Fragen klingen so berechnend und kalt. Sie erinnern mich an das letzte Gespräch mit Reinhard.
»Nein«, sage ich ablehnend. »Das wird er sicher nicht. Und das ist traurig genug.«
Tomke legt ihre Hand auf meine.
»Hey, versteh mich nicht falsch. Ich wünsche ihm nichts Schlechtes. Wir werden lediglich seinen Zustand für uns nutzen. Dieser Mann wird sterben. So oder so. Du wirst ganz legal seine Witwe und brauchst den da nebenan nicht mehr.«
Tomke macht eine wegwerfende Kopfbewegung Richtung Fernsehzimmer.
»Nun sieh mich nicht an, als wäre ich ein Monster. Ich möchte doch auch nur eine rechtmäßige Witwe werden.«
Ihre Augen verlieren für einen Augenblick alle Energie: »Sonst war alles umsonst.«
Ich schenke mir Kaffee nach und beginne zu verstehen. Auch wenn sich einiges in mir gegen diese Lösung sträubt: Tomke hat recht. Die Umstände bieten sich regelrecht an. Und es wäre dumm, sie nicht zu nutzen.
»Du willst meinen Mann in eurem Familiengrab bestatten lassen. Das war kein Scherz«, denke ich laut.
Tomke nickt. Dann zögert sie und sieht mich fragend an: »Das stört dich doch nicht, ich meine, gefühlsmäßig?«
Ich horche einen Augenblick in mich hinein.
»Nein«, antworte ich ehrlich. »Ich habe keine moralischen Bedenken. Ich kann mir nur einfach nicht vorstellen, dass wir damit durchkommen. Es gibt noch so viele Stolpersteine. Hast du keine Angst?«
»Doch«, gibt Tomke unumwunden zu. »Sogar eine Scheißangst. Aber wir haben nur diese eine Chance, und weißt du was, die werden wir beim Schopf packen!«
Tomke bricht die Schokolade in kleine Stücke und drapiert sie im Kreis auf die Tischdecke. Ich starre auf ihre Hände. Die Bewegungen haben etwas Beruhigendes. Wir haben wirklich nur diese eine Chance. Es bringt nichts, sie aus Angst nicht zu nutzen. Dafür ist es ohnehin zu spät. Und was kann schon noch passieren außer …
»Gut«, sage ich und nehme mir ein Stück von der Schokolade. »Überlegen wir weiter. Reinhard war eine Woche in der Heide an irgendeinem kleinen See. Allein. Er war dort zum ersten Mal und es kennt ihn niemand.
Eine Flucht vor seinen Problemen und weil er sich über mich geärgert hat. So eine Art Strafmaßnahme, damit ich ihn nicht finden konnte. Nun ist es zu unserem Vorteil.«
Tomke lächelt mich anerkennend an. Sie ist erleichtert. Ich spüre, wie gut es ihr tut, mich nicht mehr überzeugen zu müssen. Ich kann nur ahnen, wie viel Kraft sie das gekostet hat.
»Und wenn ihn doch jemand erkannt haben sollte, dann …«
»Daran habe ich überhaupt nicht gedacht«, unterbricht mich Tomke beunruhigt. Dieses Mal lege ich meine Hand auf ihre.
»Dann ist es unwichtig«, sage ich sanft.
»Bei uns zu Hause war Reinhard nicht mehr. Er hat nur das Band abgehört und kein Wort draufgesprochen. Weil er sich über meinen Spruch und meine Abwesenheit geärgert hat. Niemand weiß genau, wann der Unfall passiert ist. Das könnte genauso gut erst gestern Abend gewesen sein. Da wird niemand nachforschen. Warum auch? Selbst in dem Fall, dass Reinhard gestern noch jemandem begegnet ist, der ihn kannte. Sie werden die Todesanzeige in der Zeitung lesen und keine Fragen stellen.«
Eigentlich ist offiziell noch niemand tot, denke ich. Weder Gerold noch Reinhard noch Jochen.
Mein Blick streift die Küchenuhr. Es ist schon nach Mitternacht.
»Wann willst du eigentlich den Arzt anrufen?«
»Am besten erst gegen 3 Uhr morgens. Dann ist er noch müde und wird schnell wieder ins Bett wollen. Ich glaube, das ist eine gute Zeit für eine Leichenschau.«
Leichenschau. Das Wort beschleunigt sofort wieder meinen Herzschlag. Unsere Konstruktion hat noch zu viele Lücken. Ich versuche, die erneut aufkommende Welle aus Angst zu unterdrücken. Vielleicht wirkt Tomke nur so überlegen, weil sie langsam durchdreht. Oder warum übersieht sie so wichtige Dinge?
»Tomke«, beginne ich so vorsichtig, als hätte ich wirklich Bedenken, ihr die Wahrheit zuzumuten.
»Dein Hausarzt kennt doch deinen Mann?«
Ich warte auf ihre Reaktion. Dass sie zusammenbricht, weil sie diese entscheidende Tatsache total vergessen hat.
Aber sie steckt sich vollkommen ruhig noch ein Stückchen Schokolade in den Mund und antwortet dann:
»Ja, das tut er. Aber er wird nicht zur Leichenschau kommen. Er ist länger im Urlaub. In der Praxis ist eine fremde Vertretung.«
Ich atme erleichtert aus. Tomke weiß also genau, was sie tut.
»Was willst du ihm eigentlich erzählen?«, frage ich
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